Und Sei Getreu Bis in Den Tod: Mitchell& Markbys Letzter Fall
Anfängerfehler begangen hatte. Sie hätte bereits am Samstag, gleich nachdem der Leichnam gefunden worden war, darauf bestehen müssen, dieses Zimmer zu sehen. Wenn es etwas Interessantes gegeben hatte, dann hatte man es in der Zwischenzeit mit Leichtigkeit entfernen können. Familien waren stets eifrig darauf bedacht, ihren guten Ruf zu schützen – ganz besonders ein Vater, dessen Tochter ermordet worden war. Nicht einmal ein Buch mit einem zweideutigen Titelbild würde sich in diesem Zimmer noch finden. Der einzige Lesestoff lag auf einem Nachttisch neben dem Bett – eine Ausgabe von Country Life. Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich?, dachte Jess wütend. Wenn es wenigstens eine Cosmopolitan oder eine Marie-Claire gewesen wäre!
Alison war zur anderen Seite des Zimmers gegangen und hatte einen Schrank geöffnet. Sie wandte sich zu Jess um und hielt ihr einen kleinen Rucksack hin, der aus vielfarbenen Lederflicken bestand. Es war ein teures Stück, das eng am Rücken anliegend getragen wurde. Jess übersah nicht, dass Alison sofort gewusst hatte, wo sie nach dem Rucksack suchen musste. Sie waren in diesem Zimmer gewesen, wahrscheinlich beide Jenners gemeinsam.
»Das ist der Rucksack, den Fiona dabeigehabt hat.« Alison legte ihn auf das Bett. »Ich nehme an, Sie möchten sich umsehen. Ich lasse Sie alleine. Ich schätze, der Kaffee ist inzwischen serviert. Sie leisten uns Gesellschaft, wenn Sie hier fertig sind?«
»Mrs Jenner!«, rief Jess, als die Frau die Tür erreicht hatte. Alison wandte sich zu ihr um, die Augenbrauen erhoben. »Darf ich fragen, ob Sie gut mit Ihrer Stieftochter ausgekommen sind?«
Alison kehrte ein paar Schritte ins Zimmer zurück. »Ja. Das heißt, wir kamen nicht schlecht miteinander aus. Ich hatte nie das Gefühl, sie wirklich zu kennen. Sie wuchs bei ihrer Mutter auf, hauptsächlich in Frankreich, bis auf die Zeit, die sie in England im Internat verbracht hat. Chantal – Fionas Mutter und Jeremys erste Frau – ist Französin. Gelegentlich hat Fiona die Ferien bei uns verbracht, aber erst seit einem Jahr hat sie sich angewöhnt, uns in Overvale zu besuchen und einige Tage zu bleiben. Es ist nicht so, als hätte ich sie nicht eingeladen. Ich dachte, es wäre wichtig, dass Jeremy einen guten Kontakt zu seiner Tochter hat. Sie ist – sie war schließlich sein Fleisch und Blut, nicht wahr?« Alison zögerte. »Wie schwer es doch ist, die Vergangenheitsform zu benutzen«, sinnierte sie. »Es erscheint so falsch, dass ein Mensch so jung und auf solch eine Art und Weise stirbt. Ich habe Schwierigkeiten, es zu begreifen, obwohl ich sie mit eigenen Augen gesehen habe, unten am See.«
»Mr Jenner hat keine weiteren Kinder?«
»Nein.« Alison verschränkte die Arme, als wäre ihr plötzlich kalt. Im Zimmer war es tatsächlich ein wenig kühl. »Jeremy hat es schwer getroffen, wie ich Ihnen bereits sagte. Er spielt nach außen hin den Tapferen, aber er ist am Boden zerstört.«
Ohne zu warten, ob Jess vielleicht noch eine weitere Frage an sie richten würde, wandte Alison sich ab und verließ das Zimmer.
Eine schnelle Suche in Schubladen und Schränken brachte nichts zum Vorschein und bestätigte Jess’ ersten Eindruck von diesem Zimmer. Jedes Kleidungsstück war sorgfältig gefaltet oder auf einen Bügel gehängt und weggeräumt worden. Zwanzigjährige waren normalerweise nicht so ordentlich. Selbst Jess mit ihren neunundzwanzig Jahren war es nicht. Sie dachte an ihr eigenes Schlafzimmer in Bamford mit den achtlos über eine Stuhllehne geworfenen Bekleidungsstücken und das Durcheinander von Kosmetik auf dem Schminktischchen. Dieser Schminktisch hier war sauber und staubfrei. Nicht eine Flasche mit Nagellack am falschen Platz.
Was den Inhalt des Rucksacks betraf, so erwartete sie auch hier eine Enttäuschung. Ein Schlüsselbund – gut. Jess warf ihn hoch und fing ihn wieder auf. Doch abgesehen von zwei zerknitterten Papiertaschentüchern, einer kleinen Geldbörse mit ein paar Münzen darin, einem Kreditkartenetui mit einer beeindruckenden Auswahl an Plastikgeld und einem Lippenstift gab es nichts, das einen Hinweis auf die Interessen der Toten oder irgendwelche Kontakte geliefert hätte. Kein Notizbuch, kein Tagebuch. Kein Kalender oder Filofax. Keine Empfängnisverhütungsmittel, weder in Pillenform noch sonst wie. Hatte Fiona kein Sexleben gehabt?
Jess kramte durch die Taschen einer Jacke im Schrank und fand Fionas Wagenschlüssel und ein zerknittertes Blatt Papier, auf dem »Milch
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