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Und sie wunderten sich sehr

Und sie wunderten sich sehr

Titel: Und sie wunderten sich sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina-Maria Bammel
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Elefanten habe ich heute schon mal überholt«, sagt Ella, um überhaupt was zu sagen. Und der grüne Kopf nickt noch nicht mal dazu. Weder bejahend noch irgendwie interessiert. Mehr eine Art Null-Reaktion.
    Auf der CD singt Katie Melua.
    Die Frau mit der Samtstimme scheint Gehaltvolleres sagen zu können als die Frau am Steuer. Aber die versucht es noch mal:
    »Kommen Sie aus Berlin?«
    »Mm …«
    »Fahren Sie für die Weihnachtstage nach Hause?
    »Nee.«
    »Vorn im Fach ist weiße Schokolade. Mögen Sie die?«
    »Eher nich …«
    Wenigstens hält Ella die Mühe, ein ordentliches Gespräch zu führen, wach. Wer will schon bei monotonen 130 Kilometern pro Stunde nebeneinandersitzen und schweigend in die Nacht gucken?
    »This is the closest thing to crazy I have ever been …«, singt Katie. Wenn die Pfarrerin allein im Auto wäre, würde sie jetzt mitsingen.
    »Krasse Stimme!«, sagt die Anhalterin, die jetzt ein bisschen aufgewärmter aussieht als vorhin am Parkplatz.
    Findet Ella ja auch! Krasse Stimme.
    Darum lässt es die Pfarrerin gleich noch mal durchlaufen:
    »Feeling twentytwo … acting seventeen …«
    Was wach hält, ist erlaubt.
    Nächster Gesprächsversuch: »Fahren Sie die Strecke öfter?«
    »Nee …«
    |82| »…«
    Vielleicht versucht es die übermüdete Autofahrerin mal allgemeiner:
    »Mal sehen, ob wir es vor dem Schnee nach Berlin schaffen. Weihnachten mit Schnee, für die Kinder fände ich das schön.«
    Schnee interessiert die Mitfahrerin so gut wie gar nicht. Und Weihnachten?
    »Weihnachten war bei uns immer irgendwas zwischen Zauber und Zoff«, erwidert sie.
    Ella überlegt für einen Moment, ob sie jetzt eher nach dem Zoff oder nach dem Zauber von Weihnachten fragen sollte. Vielleicht fragt sie am besten gar nichts mehr … Aber die Anhalterin taut auf und braucht fürs Erzählen keine Frage:
    »Meine Mutter war immer zwanghaft, zwanghaft mit all diesen Weihnachts-Hilfsmitteln, nur um in Stimmung zu kommen. Nee, schöne Stimmung! Noch nicht mal Weihnachten hat sie aufgehört mit ihrem Kreischen und Schreien, wenn wieder was nicht nach ihrer Anweisung lief. Und das war eine ganze Menge.«
    »Klingt so, als hätten Sie’s noch im Ohr?«, gibt die Pfarrerin zurück.
    Das versteht die Frau auf dem Beifahrersitz irgendwie nicht und schüttelt den Kopf.
    »Eine Stimme wie mit Flügeln dran«, sagt sie stattdessen und zeigt Richtung C D-Spieler . Ella beschließt, sich dieses Bild von geflügelter Stimme zu merken. Trifft ja nicht nur auf Katie zu …
    »Meine Mutter hat noch in der neunten Klasse meine Hausaufgaben kontrolliert, die Schultasche durchstöbert und mir lose Arbeitsblätter um die Ohren gehauen. Ein Jahr vorher hat sie mich noch verprügelt, weil ich nicht in Schreibschrift geschrieben habe. Prügel wegen Schreibschrift!«
    »Und was haben Sie da gemacht?«
    »Nichts. Manchmal getrickst, um nicht die ganze Wucht |83| auszuhalten. Dieser Wahn, alles zu kontrollieren. Furchtbar. Als ich in der sechsten Klasse war, wollte ich nicht mehr leben. Ich hatte Angst, meine Mutter macht mich fertig wegen einer Drei in Englisch.«
    »Hat sie aber nicht, oder?«
    »Ich hatte damals mein Zimmerfenster weit aufgemacht und einen Moment überlegt. Zum Springen war ich zu feige, aber aus dem Fenster rausgeschrieen habe ich – endlich mal so wie meine Mutter schreien …«
    »Hat das gewirkt?«
    »Nicht einen Moment. Für meine Mutter war klar, was ich bin: faul, mies und hinterhältig, undankbar und frech – wie ja auch mein Vater war, zumindest in den Augen meiner Mutter. Der hat es ein dreiviertel Jahr in unserer Familie ausgehalten. Dann ist er weg, wohnt schon lange in so einer Reihen-Mini-Box im Grünen. So eine typische Spießer-Schachtel. Meine Mutter wohnt weiter in der Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock. Wie damals. Nichts bringt mich dahin zurück. Kennen Sie Lichtenberg?«
    »Wohnen Sie jetzt allein?« Ella stellt schon beim Fragen fest, sie ist viel zu neugierig.
    »Mal hier, mal da«, weicht die junge Frau aus.
    Ist ja ihr gutes Recht, denkt Ella.
    »How can I think I’m standing strong …«, bringt es Katie Melua auf den Punkt.
    Rechts auf der Kriechspur drängeln sich jetzt wieder Schwertransporter. Hausteile für »Spießer-Schachteln« als Ladung. Wie halten sich die Fahrer nur wach? Ella sieht sie für Sekunden im Rückspiegel und hört sich selbst fragen: »Haben Sie Freunde in Berlin?« Genau das ist es! Einfach zu neugierig!
    »Ja, schon …«
    »This is the closest

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