Und sie wunderten sich sehr
thing to crazy …«, Katies Stimme wird einfach nicht müde.
Und die Beifahrerin?
»Wo kommen Sie her? Was machen Sie?« Aha, sie dreht |84| den Spieß um. Auch möglich, freut sich eine mittlerweile vollkommen erschöpfte Ella.
Aber wenn sie erzählen kann, bleibt sie wenigstens wach. Der Trick klappt auch ziemlich gut. Und die Co-Pilotin scheint nicht ganz unwillig zuzuhören. Ella ist sich nicht sicher, ob die Anhalterin das alles wirklich so detailliert wissen will, was sie hört. Aber es wird ihr klar: Die Frau am Steuer ist unterwegs und zurück zu Familie und Pfarramt.
Nach der Tochter fragt die Frau vom Parkplatz dann etwas genauer. Wie alt sie ist? Ob sie schon laufen kann? Und so weiter.
Aber irgendwann hilft auch das Reden nicht mehr. Ella ist mehr als bereit für den nächsten Kaffee. Sie halten an.
Noch bevor das Auto steht, zieht die namenlose Beifahrerin die Zigaretten aus ihrer Jackentasche. Wahrscheinlich hat sie schon lange darauf gewartet.
Während sie raucht, verschwindet Ella kurz im Restaurant.
»Bin ich blöd?«, durchfährt es sie für einen Moment.
»Alles offen; eigentlich könnte sie alles mitnehmen und verschwinden«, mosert der ängstliche Kleinbürger in ihr.
Mit der Zigarette wippt sie, keinen Meter weit vom Auto entfernt, wieder von einem dünnen Bein aufs andere, als Ella ihr einen der zwei mitgebrachten Kaffeebecher gibt. Sie freut sich und sieht dabei fast richtig munter aus.
Höflich bleibt Ella noch einen Moment mit der Raucherin in der Kälte stehen. Die eisige Nachtluft macht sie wenigstens wach. Trotzdem, die Zigarette dauert – für Ella viel zu lang!
Endlich sind sie wieder auf der Autobahn. Ob rechts und links Felder oder Wälder, man kann es nicht erkennen.
»Ich treffe meinen Sohn in Berlin«, erklärt die Beifahrerin mit einem Mal. Das klingt fast vergnügt.
»Henri«, ergänzt sie gleich noch, weil sie ahnt, wie die nächste langweilige Frage lauten würde.
|85| Ella überschlägt kurz, dass Henri eine ziemlich junge Mutter hat. 20 vielleicht oder 22. Älter auf keinen Fall.
Ella hätte mit 22 Jahren keinen Platz für einen Henri in ihrem Leben gehabt. Aber sie hätte auch nicht den Mut aufgebracht, nachts an Autobahnparkplätzen auf Mitfahrgelegenheiten zu warten.
»Ist Henri jetzt bei seinem Vater?« Dass ihr diese Frage noch eingefallen ist …!
»Kommt drauf an …«, antwortet die immer noch namenlose Fahrbegleitung.
»?«
»Henri ist so passiert. Mit wem, weiß ich nicht mehr.«
Ella schaut ganz kurz zu ihr herüber, aber bei 130 Stundenkilometern ist das einfach zu gefährlich.
»Die Sozialarbeiterin im Kontaktladen für wohnungslose Jugendliche hat damals gesagt, dass es am besten wäre, Henri zu Pflegeeltern zu geben. Adoption wollte ich nicht. Henri lebt jetzt bei zwei Pflegepapas in Pankow. Da geht er auch seit einem halben Jahr in eine Krabbelgruppe.«
»Zwei Väter …«, ein zugegeben matter Kommentar vom Steuer.
»Besser als eine schlechte Mutter«, erwidert sie. Hat sie das wirklich gesagt? Ella glaubt jedenfalls, dass sie sich nicht verhört hat.
»Henri hat es echt gut bei seinen Pflegevätern. Er sagt aber nicht Papa zu ihnen, sondern Daniel und Sebastian. Die führen ein eigenes Restaurant. Sieht unheimlich edel aus. Ich war noch nicht drin, stand aber mal davor. In der Gegend stehen große Villen; jede Menge Familien. Sogar ein Spielplatz in der Straße. Wir treffen uns da manchmal, wenn ich Besuchstermin habe. Manchmal lasse ich ihn auch ausfallen, wenn die Stimmung im Keller ist.«
Ella ahnt, dass das häufiger der Fall zu sein scheint.
»Daniel und Sebastian fahren mit dem Kleinen am Wochenende immer raus aufs Land – mal Daniel mit Henri, mal Sebastian mit Henri. Einer muss ja immer im Restaurant bleiben.
|86| Daniel jedenfalls hat da irgendwo auf dem Land ein Grundstück am See. Bestimmt steht da auch so ein schickes Haus. Mehr weiß ich aber auch nicht.«
»How can happiness feel so wrong …«, Katie singt es jetzt bestimmt zum achten Mal.
»Vor den Weihnachtstagen darf ich ihn sehen, ein paar Stunden. Danach wollen Daniel und Sebastian mit ihm wieder aufs Land und dort richtig schön feiern. Henri bekommt bestimmt die tollsten Sachen. Er sieht immer so gut angezogen aus. Und er riecht immer – wie frisch gebadet. Jedes Mal! Wie machen die das nur?«
»Und du?« – die Frage mag Ella nicht stellen. Die denkt sie sich und hält die Augen fest an den weißen Streifen auf der Autobahn.
»Im Kontaktladen
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