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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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die sich in der Wirtschaft prügelten, ob er ein Gesicht, auch wenn er es nicht kannte, kurz zuvor schon gesehen hatte. Marcello dachte eine Weile nach, dann verneinte er bedauernd.
    Auf der einen Seite musste er weitere Befragungen vornehmen, auf der anderen Seite trieb es Prospero zum Tatort. Und niemand da, der helfen könnte. Dabei verfügte der Kirchenstaat wahrlich nicht über zu wenig Staatsdiener. Er beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn schon nicht die Behörden ihren Aufgaben nachgingen, würden sicher die Betroffenen selbst helfen. Prospero bat Marcello, sich drei Namen von den anderen sechs auf der Liste einzuprägen und sie in seinem Auftrag nach Ort sowie Art und Weise des Verschwindens ihrer Töchter und nach bekannten oder schon einmal kurz zuvor gesehenen Gesichtern zu befragen. Außerdem sollte er in Erfahrung bringen, ob jemand noch andere Opfer kannte. Sie mussten so viele Details wie möglich zusammentragen.
    »Sei vorsichtig, Marcello, wir haben es mit einem sehr gefährlichen Gegner zu tun.«
    »Was kann er mir denn noch anhaben?«, erwiderte der Tischler seufzend. »Das Leben hat er mir doch schon genommen!«
     
    Wenig später befand sich Prospero auf der Via Giulia. Den Palast des Gesandten des Kaisers hatte er bereits hinter sich gelassen. Auf der rechten Seite entdeckte er die erwähnte Gastwirtschaft. Zwei Pfähle ragten einige Schritte vor dem Haus noch in den Himmel, wenngleich der schwarze Stoff, der zwischen der Häuserwand und den Pfählen befestigt als eine Art Dach diente, in den Straßenkot eingesunken war. Irgendwann war das Wasser, das sich in dem schäbigen
Baldachin gesammelt hatte, zu schwer geworden und die Schlaufen waren gerissen. Es schien den Wirt nicht zu interessieren. Bei dem Regen saß ohnehin niemand draußen. Er folgte einer kleinen sich windenden Treppe hinauf zur Gastwirtschaft. Die Tür stand offen. Eine üble Spelunke. Dreckig und stinkend. Über der Tür befand sich ein Fenster. Selbst wenn die Sonne geschienen hätte, wäre durch den Schmutz, der auf der Scheibe klebte, nur wenig Licht in den Raum gedrungen. An einem groben Tisch saßen zwei Gestalten, die offensichtlich zum Inventar gehörten, und spielten Morra. Auf ihrem Tisch stand ein Öllämpchen.
    Ein schmächtiger Wirt kam Prospero entgegen und beäugte ihn misstrauisch. Der Mann konnte sich an die Schlägerei erinnern, obwohl eine solche Wirtshausrauferei nichts Besonderes darstellte. Handgemenge brachen hier ziemlich regelmäßig aus. Aber an diesem Tag war es anders gewesen. Zwei Streithähne hatten sich unter die Gäste gemischt, die unter dem Baldachin vor der Wirtschaft saßen, und hatten die anderen in ihren Streit hineingezogen. Schließlich prügelten sich alle. Als die Rauferei nach einer Stunde endete, wusste niemand, worum es eigentlich gegangen war. Die Streithähne indes konnte man nicht mehr fragen, denn die hatten sich längst aus dem Staub gemacht.
    »Kannst du die beiden beschreiben, ist dir etwas aufgefallen? Denk gut nach!«
    Der Wirt legte die Stirn in Falten und kratzte sich mit den Fingern der rechten Hand angestrengt am Hinterkopf. »Nee. Eigentlich nicht. Wie sollen die schon ausgesehen haben? Kräftig. Wie Knechte, die einen spendablen Herrn haben. Denn sie standen gut im Futter und trugen saubere Kleidung.«

    Sie hatten es demnach nicht mit einem, sondern mit mehreren Entführern zu tun, die ihr Verbrechen gut geplant hatten. Wie ein Blitz durchfuhr Prospero ein Gedanke. »War auch ein Cavaliere dabei? Schlank, schwarzhaarig, mit blauen Augen?«
    Die Frage amüsierte den Wirt offensichtlich, denn ein breites Grinsen überzog sein stoppliges Gesicht. »Ein Cavaliere? Nee, ganz bestimmt nicht.«
    Der Ablauf stand jetzt klar und deutlich vor Prosperos Augen. Zumindest in groben Zügen. Die Entführer provozierten eine Wirtshausschlägerei, um Verwirrung zu stiften, dann schlugen sie den Tischler nieder und verschleppten dessen Tochter. So weit, so gut. Wenn man eine Kutsche ausschloss, dann stellte sich die Frage, wie sie das Mädchen unbemerkt von hier fortgeschafft hatten. Prospero warf dem Wirt eine Münze zu, die der behänd auffing, bevor er sich zum Dank verbeugte.
    »Wenn man jemanden von hier unbemerkt und schnell wegschaffen will, ohne eine Verfolgung befürchten zu müssen, wie ließe sich das bewerkstelligen?«
    »Mit der Kutsche!«
    »Ohne Kutsche.«
    »Dann mit dem Boot! Ist vielleicht sogar noch besser. Wenn sie aus der Wirtschaft kommen, ist gleich

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