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Und taeglich grueßt die Evolution

Und taeglich grueßt die Evolution

Titel: Und taeglich grueßt die Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wissenmedia
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Bewegungsabläufe der Lippen, Zunge, Zähne und anderer Artikulatoren. Bei einem »s« zum Beispiel zischt die Luft an der Zunge vorbei, während sie die Zähne berührt. Für ein »r« lassen wir entweder unsere Zunge oder das Gaumenzäpfchen vibrieren. Sprachethnologen kennen noch eine Vielzahl weiterer Konsonanten, die für europäische Ohren exotisch klingen. So bauen die !Xóõ, ein Buschmannvolk im südlichen Afrika, verschiedene Schnalz- und Klicklaute in ihre gesprochene Sprache ein. Das Ausrufezeichen in !Xóõ steht für so einen Schnalzlaut, der durch einen Zungenhüpfer am Gaumen produziert wird.
    Absenkung des Kehlkopfs – mehr Resonanz und Spielraum
    Die Fähigkeit zur unabhängigen Kontrolle der Lauterzeugung im Kehlkopf sowie seiner Modulierung im Vokaltrakt und nicht zuletzt die willentliche Feinsteuerung der Artikulatoren unterscheiden den Menschen von seinem nächsten Verwandten, dem Schimpansen. Eine weitere anatomische Besonderheit des Menschen ist, dass sein Kehlkopf sich im Laufe der frühen Kindheit absenkt und auf diese Weise einen größeren Resonanzraum in unserem Rachen ausbildet. Dadurch gewinnt die Zunge eines Erwachsenen so viel Spielraum, dass sie sich nicht nur horizontal im Mundraum, sondern auch vertikal im Rachen bewegen kann. Das Zungenbein, ein Knochen zwischen Unterkiefer und Kehlkopf, an dem der Zungenmuskel ansetzt, ist beim Menschen beweglicher als beim Schimpansen und trägt so zur Flexibilität des Lautapparates bei.
    Der Vokaltrakt von Neugeborenen ähnelt noch demjenigen junger Schimpansen: Kehlkopf und Zungenbein sitzen weit oben im Rachen, so dass Kehldeckel und Gaumensegel sich berühren können. Dadurch kann der Atemweg von der Speiseröhre gleich hinter den inneren Nasenöffnungen getrennt werden. Aufgrund dieser Tatsache müssen Babys ihre Luftröhre beim Schlucken nicht verschließen. Der adaptive Vorteil dieser Fähigkeit wird beim Stillen ersichtlich: Die Kleinen können an der Brust saugen und gleichzeitig durch die Nase atmen. Ab dem dritten Lebensmonat senkt sich der Kehlkopf mit dem Zungenbein im Hals langsam ab. Nun steigt das Risiko, dass beim gleichzeitigen Schlucken und Atmen Speisereste in die Lunge gelangen. Deshalb entwickeln die Kinder den für Erwachsene typischen Schluckmechanismus: Der Kehlkopf wird am Zungenbein nach oben gezogen, dadurch wird der Kehldeckel gegen den Zungengrund gedrückt und zugeklappt.
    Vom Affen zum Menschen – der Kehlkopf sinkt weiter
    Erst kürzlich wurde entdeckt, dass sich der Kehlkopf auch bei Schimpansen während der ersten Lebensjahre absenkt; allerdings nicht so prägnant, wie beim Menschen. Evolutionsbiologen schließen aus dieser Beobachtung, dass diese Absenkung bereits einsetzte, bevor sich die Stammbaumlinien von Affe und Mensch trennten – möglicherweise, weil sich der Schluckmechanismus veränderte.
    Durch die geringere Absenkung des Kehlkopfs kann ein Schimpanse noch im Erwachsenenalter gleichzeitig trinken und atmen. Für die Artikulation der verschiedenen Vokale einer Sprache liegt sein Kehlkopf allerdings zu hoch; ihm fehlt der für die Resonanzbildung notwendige hintere Rachenraum. Erst in der Evolutionslinie des Menschen erreichte der Kehlkopf seine endgültige Position und das Zungenbein senkte sich ebenfalls relativ zum Kiefer und zur Schädelbasis, wodurch der typisch menschliche Vokaltrakt entstand.
    Gut gebrüllt Löwe – Kehlkopfabsenkung zum Imponieren
    Welche evolutionären Kräfte dazu führten, dass sich bei unseren noch sprachunfähigen Vorfahren der Kehlkopf nach unten senkte, ist ungewiss. Eine Hypothese basiert auf der Beobachtung, dass im Säugetierreich die Frequenz der im Vokaltrakt erzeugten Formanten und die Körpergröße korrelieren. Je größer das Tier, desto länger ist auch sein Vokaltrakt und umso tiefer klingen die damit erzeugten Formanten. Durch die Absenkung des Kehlkopfes lassen sich tief klingende Formanten aber auch künstlich erzeugen und somit der akustische Eindruck von gesteigerter Körpergröße vermitteln. Da die Körpergröße immer auch ein Sinnbild für die Stärke und Durchsetzungsfähigkeit ist, kann die Vortäuschung falscher Tatsachen dem Rufenden einen Selektionsvorteil bei der Revierverteidigung oder Brautwerbung verschaffen.
    Tatsächlich findet man im Tierreich zahlreiche Beispiele, bei denen die Evolution jeweils unabhängig voneinander eine Absenkung des Kehlkopfes hervorbrachte, die offensichtlich der Größenvortäuschung beim Rufen dient.

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