Und taeglich grueßt die Evolution
aggressiven Anteile des menschlichen Seelenlebens. Er unterschied zwei Arten von Trieben: die Lebenstriebe oder erotischen Triebe, die vereinigen und erhalten, und die Aggressions- und Destruktionstriebe, die zerstören und vernichten wollen. Letztere interpretierte er als eine Erscheinung des Todestriebs, der alle Bindungen auflöst und darauf zielt, in den anorganischen Zustand vor dem Lebensbeginn zurückzukehren.
In einem Briefwechsel mit Albert Einstein über die Ursache von Kriegen schrieb Freud, dass das menschliche Leben sich der Mischung aus erotischen und aggressiven Trieben verdanke. Die aggressiven Strebungen des Menschen wären unverzichtbar und demzufolge unüberwindbar. Die gesamte menschliche Kultur ruhe auf der fortschreitenden Beherrschung der aggressiven Neigungen. Ihr Fortschritt habe allerdings einen hohen Preis, nämlich ein wachsendes Schuldgefühl, das zum größten Feind der Kultur werde, da der Mensch durch sie eine Reihe von Glücksmöglichkeiten verliere. Kulturelle Normen und Werte schlagen sich nach Freud im Seelenleben als Über-Ich oder Gewissen nieder, wobei das Über-Ich alle Handlungen des Ichs überwacht. Auch wenn der Einzelne den Ansprüchen genügt und seine aggressiven Neigungen zügelt, wird er von seinem Gewissen gestraft, denn das Über-Ich unterscheidet nicht zwischen Wunsch und Tat.
Neue Formen von Gewalt: Tatort Schule
Im letzten Jahrzehnt tauchte, ausgehend von den Vereinigten Staaten, ein neues Gewaltphänomen in den hoch industrialisierten Gesellschaften auf – die Gewalt an Schulen. Spätestens seit dem »Schulmassaker« am Erfurter Gutenberg-Gymnasium, bei dem im Jahr 2002 ein Amokschütze 16 Mitschüler und Lehrer erschoss, bevor er seinem eigenen Leben ein Ende setzte, gibt es auch in Deutschland eine öffentliche Diskussion über die Entstehungsbedingungen solcher extremen Formen von Gewalt. Von dem Schüler war bekannt, dass er den Großteil seiner Freizeit mit »gewaltverherrlichenden« Computerspielen verbrachte. Seither wird von verschiedenen Seiten ein Verbot dieser sogenannten Killerspiele gefordert. Bei diesem Spieltyp muss der Spieler in der Rolle eines Einzelkämpfers mithilfe virtueller Schuss- oder Stichwaffen alles umbringen oder niedermachen, was sich ihm in den Weg zu stellen versucht.
Es ist allerdings umstritten, ob ein extremes Ereignis wie Erfurt mit dem übermäßigen Konsum von Gewaltdarstellungen erklärt werden kann oder ob nicht vielmehr das Versagen des familiären und sozialen Umfelds, die seelische Vernachlässigung des Kindes und demütigendes Verhalten durch die Umwelt die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen erhöht. Neue Aufregung verursachten jüngst Gewalt- und Pornographiedarstellungen auf Handys, die in den Pausen auf Schulhöfen herumgereicht werden. Bislang konnte allerdings noch kein Beweis dafür erbracht werden, dass virtuelle Gewaltdarstellungen Jugendliche tatsächlich dazu anregen, reale Gewalt auszuüben.
Gott will es! – Religiöse Gewalt im Mittelalter und der Neuzeit
Eine andere Erscheinungsform radikaler Gewalt ist in jüngster Zeit die Ausrufung des Dschihad, des gerechten und heiligen Krieges, durch radikale muslimische Gruppen. Sie weckt Erinnerungen an ihre christlichen Vorläufer, die Kreuzzüge des Mittelalters. Im Jahr 1095 rief Papst Urban II. die Christenheit dazu auf, Byzanz im Kampf gegen das ungläubige Volk der türkischen Seldschuken zu unterstützen und Jerusalem zu befreien. Sein Aufruf traf auf offene Ohren. Das Land war zu dicht besiedelt, die Böden nicht fruchtbar genug, zusätzliche Belastungen durch Dürreperioden und Überschwemmungen trugen zur schlechten Versorgung und Hungersnöten bei. Die aus den unumgänglichen Verteilungskämpfen resultierenden Aggressionen innerhalb der mittelalterlich-abendländischen Gesellschaft wurden durch den Aufruf auf einen gemeinsamen äußeren Feind projiziert, um den Frieden im Inneren zu erhalten. Urbans Predigt gegen die Heiden löste eine Welle stürmischer Begeisterung aus. An dem Kreuzzug beteiligten sich Ritter, Knechte, kriegserprobte Abenteurer, Kriminelle, Landstreicher und ein Heer von Armen. Als Zeichen ihrer Sendung nähten sie ein Kreuz auf den Mantel. In Jerusalem richteten die fanatisierten Kreuzfahrer ein Blutbad unter den muslimischen und jüdischen Bewohnern an.
Eine kaum geringere Zahl radikaler und gewaltbereiter Anhänger findet der Dschihad derzeit vor allem in den ärmeren Teilen der muslimischen Welt. In seinem Namen wurden in
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