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Und taeglich grueßt die Evolution

Und taeglich grueßt die Evolution

Titel: Und taeglich grueßt die Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wissenmedia
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den Künsten offensichtlich melancholisch gestimmt sind.
    Über viele Jahrhunderte war die Melancholie Gegenstand der künstlerischen Phantasie. Bei Albrecht Dürer erscheint sie als geflügeltes Wesen mit grüblerischem Blick, das von Symbolen des Todes und der Vergänglichkeit wie Uhr und Zirkel umgeben ist. Auguste Rodin verewigte sie in seinem Denker, der schwermütig seinen Kopf in seine Hand stützt. Ab dem 19. Jahrhundert wurde sie von der Psychologie zunehmend als seelische Erkrankung interpretiert und büßte damit ihre Faszination ein. Gleiches gilt für ihr seelisches Gegenbild, die Manie, die als abnorm übertriebener Frohmut in Erscheinung tritt. Ihren Ursprung hat sie in der »Mania«, dem griechischen Wort für Wut, worunter auch die Liebeswut und Liebesraserei verstanden wurde. Die griechische Antike verband die Raserei mit Dionysos, dem griechischen Gott des Weines und der ekstatischen Verwandlung.
    Der Aufschwung der psychologischen Wissenschaften
    Mit dem Aufstieg des Bürgertums und der zweiten industriellen Revolution zeigte sich ein neues Interesse an den seelischen Befindlichkeiten des Menschen. Die von Sigmund Freud entwickelte Form der Tiefenpsychologie, die Psychoanalyse, gewährte neue Einblicke in die unbewussten Anteile seelischer Konflikte. Freud unterschied die Trauer von der Melancholie. Letztere zählte er gemeinsam mit ihrem zyklisch auftretenden manischen Gegenbild zu den krankhaften Zuständen der Seele. Während die Trauer beim Verlust einer geliebten Person oder Sache die normale Form der Verarbeitung ist, kommt der Depressive über den Schicksalsschlag nicht hinweg. Meist war er dem Verlorenen zuvor in einer Mischung aus Liebe und Hass verbunden, die ihn dann als quälendes Schuldgefühl gefangen hält.
    Oft zieht sich ein depressiver Mensch von der Welt zurück. Auf diese Phase größter Niedergeschlagenheit folgt häufig eine manische Gelöstheit; die Welt erscheint plötzlich bunt, leicht und begehrenswert. Diese Stimmung ist jedoch ebenso intensiv wie flüchtig und jederzeit bereit, wieder in Depression umzuschlagen. Eine mildere Form manischdepressiver Erkrankung ist der Kaufrausch. Im Moment des Kaufens ist der Betroffene frei von finanziellen Sorgen und von einem übersteigerten Glücksgefühl erfüllt. Erst wenn die Dinge schon gekauft sind, setzen Schuldgefühle ein. Wenn sie verblassen, beginnt der Kreislauf von neuem.
    Kollektive Stimmungsschwankungen in Umbruchphasen
    An einem Kind ist gut zu beobachten, wie schnell Glück in Unglück umschlagen kann. Erst im Laufe seiner Kindheit findet es zu einer ausgeglichenen Stimmungslage, wie sie bei einem gesunden Erwachsenen vorherrscht. Schwere Schicksalsschläge stellen große seelische Belastungsproben dar, nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für das Kollektiv. Die seelische Gemütsverfassung einer Gesellschaft ist stets abhängig von den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, wobei die Umbruchsituationen besonders heikel sind. Ein historisches Beispiel liefern die religiösen Bewegungen des Mittelalters, die sich in einer Zeit des sozialen Umbruchs und in der Folge der großen Pestepidemie ab 1348 entwickelten.
    Durch die vollständige Verweltlichung des Klerus und den Schwarzen Tod bildeten sich einerseits Bettelorden wie die der Dominikaner und Franziskaner, die in der Nachfolge Christi ein Leben in Reinheit, Enthaltsamkeit und Armut predigten, aber auch religiösfanatische Bewegungen wie die der Flagellanten, die – sich selbst öffentlich auspeitschend – durch Dörfer und Städte zogen. Tausende verließen ihr soziales Umfeld, um sich ihnen anzuschließen. Weitere Zeugnisse der seelischen Befindlichkeit dieser Epoche liefern Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg und Teresa von Avila aus Spanien. Ihre Schriften beschreiben Stimmungswechsel zwischen höchstem Entzücken und größter Niedergeschlagenheit, die sie als Ausdruck ihrer innigen Nähe oder großen Entfernung zu Gott begreifen.
    Auch das 20. Jahrhundert erscheint im Rückblick als ein Jahrhundert wechselnder Stimmungslagen. Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte in Deutschland eine Welle nationaler Euphorie. Vor allem die bürgerlichen Mittelschichten und viele Intellektuelle äußerten sich begeistert über den Krieg, von dem sie sich eine Erneuerung der erstarrten bürgerlichen Gesellschaft erhofften. Nach seinem ruhmlosen Ende trieb der kriegsbedingte soziale Abstieg viele Veteranen, enttäuschte Intellektuelle und verarmte Bürger ins neu

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