Und trotzdem ist es Liebe
ich an einer anderen Frau bewundern würde, aber ich käme nie auf den Gedanken, mir so etwas selbst zu kaufen.
«Wow», sage ich und schiebe ihn auf meinen rechten Ringfinger. Er passt tadellos – dank Jess, da bin ich sicher. «Der ist hinreißend.»
«Du bist hinreißend.» Er nimmt meine Hand und küsst sie im Stil alter Hollywoodfilme.
Ich danke ihm – und ich hoffe, mein Dank umfasst den Ring und das Kompliment. Aber unwillkürlich bin ich verstimmt über beides. Denn beides ist der Overkill. «Hinreißend» ist einfach kein Adjektiv, das auf mich passt. Ich bin durchaus attraktiv. Ich kann sogar hübsch sein, wenn sich mal alles genau zusammenfügt. Aber ich bin nicht hinreißend – und ich glaube auch nicht, dass Richard es so sieht. Zum ersten Mal schaue ich ihn an und sehe Unaufrichtigkeit. Unwillkürlich frage ich mich, wie viele Frauen Richard schon «hinreißend» genannt hat. Ich bin plötzlich sicher, dass es eine dreistellige Zahl ist.
«Das hättest du nicht tun sollen», sage ich noch einmal. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.
«Ich wollte es aber», sagt er. Und dann fügt er hinzu: «Ist doch keine große Sache.»
Ich sehe ihn an, und die volle Wahrheit dieser Äußerung wird mir bewusst. Es ist wirklich keine große Sache für Richard. Der Ring. Die Villa d’Este. Der Sex. Ich. Nichts davon ist eine große Sache. Vermutlich habe ich das die ganze Zeit gewusst. Ich habe gewusst, dass Richard einfach auf großem Fuße lebt. Ich dachte, es ist ein Lifestyle, den ich auch haben möchte.
Aber irgendwann im Laufe der letzten Zeit, vielleicht auf diesem Geburtstagstrip, habe ich auf mehr gehofft, glaube ich. Vielleicht habe ich gehofft, ich könnte in Richard finden, was ich mit Ben gehabt habe. Aber plötzlich ist mir ganz klar: Richard verliebt sich nicht in mich, und ich verliebe mich nicht in Richard. Wir schaffen uns hier nichts Dauerhaftes, nichts Besonderes. Wir amüsieren uns miteinander. Es ist eine Affäre – wie er gestern Abend gesagt hat. Eine Affäre, deren Ende noch nicht feststeht. Ich bin erleichtert, weil ich es jetzt definiert habe. Erleichtert, zu wissen, dass wir beide das Gleiche empfinden. Aber zugleich bin ich auch zutiefst enttäuscht. Von mir selbst und von dem Weg, den mein Leben nimmt. Mein Ring funkelt im Sonnenlicht, und ich denke: Vielleicht bin ich mehr wie Richard und weniger wie Ben. Ich bin hier, weil ich wie Richard bin und nicht wie Ben .
Zweiundzwanzig
Auf dem Nachtflug zurück nach New York muss ich die ganze Zeit über mich und Richard nachdenken. Einer Frau einen Ring zu schenken, wenn man keine ernsthafte Beziehung hat, ist für mich ungefähr das Gleiche wie ein Blowjob für einen Mann, für den ich nichts empfinde. Es macht alles irgendwie billig – Geber und Empfänger eingeschlossen. Ich will Richards Ring nicht so empfinden (und meine Blowjobs auch nicht). Ich will aufgeklärt und modern und unabhängig und sexuell befreit sein. Ich sage mir, dass Richard und ich die gleichen Gefühle füreinander haben. Keiner von uns beiden benutzt den andern – oder vielleicht benutzen wir einander auf die gleiche Weise. Jedenfalls gibt es keine Täuschung, keine Verstellung zwischen uns. Richard ist ein erwachsener Mann und kann selbst entscheiden, wofür er sein Geld ausgibt. Und ich kann selbst entscheiden, mit wem ich was anfange. Aber so meisterhaft ich das alles in eine rationale Perspektive setze – die Beziehung fühlt sich einfach nicht mehr richtig an. Jedes Mal, wenn ich meinen neuen Ring anschaue, wird mir mulmig.
Als wir in New York landen und mit einem Funktaxi zurück in die Stadt fahren, hat meine Stimmung auf Richard abgefärbt, und unsere Unterhaltung ist spürbar angespannt. Er hat mich schon zweimal gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei – und das ist überhaupt nicht die unbeschwerte Dynamik, die sonst zwischen uns herrscht. Beide Male sage ich nein; ich kann ja nicht gut jemandem, der mir gegenüber keine ernsthaften Absichten hat, eröffnen, dass ich ihm gegenüber keine ernsthaften Absichten habe, aber trotzdem irgendwie verstört bin. Das ist, als riefe man seinen Exfreund an und sagte ihm, dass man über ihn hinweg ist. Oder als sagtest du deinem Boss, der dich soeben gefeuert hat, dass du schon seit Wochen vorhattest zu kündigen. Es wäre einfach … schräg.
Außerdem möchte ich um keinen Preis undankbar erscheinen. Ich bin dankbar. Unsere Reise hat mir so gut gefallen, wie einem eine Reise nur gefallen kann,
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