Und trotzdem ist es Liebe
nicht nach Mailand.»
Richard bewahrt sein Geheimnis während des ganzen Fluges. Wir trinken Champagner, essen, sehen einen Film mit Kirsten Dunst und schlafen. Erst als wir am nächsten Morgen in Mailand gelandet, durch den Zoll gegangen sind und unseren Leihwagen abgeholt haben, gibt Richard mir eine Postkarte der Villa d’Este am Comer See. Ich erkenne sie sofort: Dort wollte ich hin, seit ich mit fünfzehn einen Bildband mit heißen Fotos von Helmut Newton gesehen habe, die hier aufgenommen wurden.
Und ich kann nicht umhin, an Ben zu denken, denn zum Comer See hatten wir an unserem fünften Hochzeitstag fahren wollen. Das hatten wir uns «aufgehoben». Es erschien uns zu kostbar für einen x-beliebigen Trip. Meine Philosophie über das «Aufheben» habe ich inzwischen revidiert. Es hat keinen Sinn. Ich denke an meine Urgroßmutter, die einen Plastikbezug über ihre neue Couch legte – dabei hatte sie nicht den Hauch einer Chance, diese Couch jemals zu verschleißen.
Natürlich wusste Jess von unseren Hochzeitstagsplänen. Obwohl Richard schon in der Villa d’Este gewesen ist, habe ich deshalb den starken Verdacht, dass sie bei seiner Entscheidung die Hand im Spiel gehabt hat. Ich frage mich nur, ob sie offen mit ihm gesprochen oder ob sie ihn manipuliert hat, als er die Auswahl traf. Fähig wäre sie zu beidem. Aber es wäre ungehörig, danach zu fragen. Also sage ich nur: «Wir fahren in die Villa d’Este?»
Er nickt und sieht sehr zufrieden mit sich aus. «Jess sagt, du warst noch nie am Comer See.»
«Das stimmt», sage ich.
«Das musste geändert werden. Es ist der Himmel auf Erden. Wie Shelley sagte: ‹Dieser See übersteigt alles, was ich jemals an Schönheit gesehen habe.›»
Wenn Männer Dichter zitieren, bin ich hin und weg. Ich merke, dass ich rot werde, als ich sage: «Das ist viel zu großzügig.»
«Na ja, es ist nicht ganz selbstlos. Schließlich fahre ich mit dir dorthin.» Er zeigt auf ein Fenster im zweiten Stock mit Blick auf den See und sagt: «Und ich habe die Absicht, dich in diesem Zimmer zu vögeln.»
Ich sehe ihn an und denke, wenn Ben gesagt hätte, er wolle mich irgendwo vögeln, hätte es krass und lieblos geklungen, aber bei Richard klingt es sexy. Ich frage mich, wie das kommt, aber eine Antwort fällt mir nicht ein.
Wenig später fahren wir durch die italienischen Berge. Alles ist so schön, dass ich nicht weiß, wohin ich schauen soll.
«Ist es nicht wunderbar, zu wissen, dass wir in Italien sind?», frage ich Richard.
Er nickt. «Tausendmal besser als Jersey.»
Die Fahrt ist überraschend kurz – sie dauert nicht mal eine Stunde –, und bald erreichen wir die kleine Stadt Cernobbio. Gleich hinter der Stadt ist unser bezauberndes Hotel. Richard hält vor dem Hauptgebäude, und ein kleiner, adretter Mann mit einem Schnurrbart öffnet mir die Wagentür, bevor ich es tun kann. Er begrüßt uns mit einer kleinen Verbeugung, und ich habe plötzlich die Befürchtung, dass meine Erwartungen zu hoch sind – dass der Comer See ihnen nicht entsprechen wird. Aber wenige Augenblicke später sehe ich erleichtert, dass manche Dinge wirklich so gut sind. Das Hotel und der Garten sind prachtvoll, und die Aussicht auf blaue Berge und Dunst über dem Wasser ist atemberaubend. Alles hat etwas Verträumtes. Das sage ich Richard, und dann denke ich, dass «verträumt» ein Wort ist, das ich noch nie benutzt habe – es sei denn, ich wollte mich über jemanden lustig machen.
Wir gehen zur Rezeption, und Richard begrüßt alle mit einem handfesten amerikanischen Hallo. Es gefällt mir, dass wir in einem der schönsten Hotels der Welt sind und er trotzdem derselbe bleibt – freundlich, unprätentiös, beinahe unverfroren. Im Gegensatz dazu verändert sich mein Benehmen in vornehmen Hotels und Restaurants; ich spreche dann unwillkürlich mit gedämpfter Stimme und achte auf eine perfekte Haltung.
Beim Einchecken schaut Richard zu der hohen Decke hinauf und sagt: «Guck dir das an.»
Wohlerzogen schaue ich hoch und flüstere: «Oooh. Schön.»
Plötzlich vermisse ich Ben, wie ich es immer tue, wenn ich schöne Gebäude sehe oder mich an die romantische architektonische Ausdrucksweise erinnere, die ich von ihm gelernt habe, an Wörter wie «Belvedere-Türmchen», «Fleur-de-Lis-Ornamentik», «Mary-Hart-Bögen», «Zuckerbäckerstil» und «Voussoir-Gewölbe». Ich stelle mir vor, wie gut ihm dieses Hotel mit all seinen exquisiten Details gefallen würde. Vielleicht kann er in
Weitere Kostenlose Bücher