Und trotzdem ist es Liebe
deines Lebens verknüpft ist, weckt die Temple Bar nostalgische Erinnerungen an die Zeit, als wir Anfang zwanzig waren.
Immer wenn ich also die Eidechse über dem Eingang in der Lafayette Street sehe und die romantisch beleuchteten, rotsamtenen Art-déco-Räume betrete, überkommt mich wieder das Gefühl, dreiundzwanzig zu sein und so arm, dass ich den ganzen Abend an einem Drink nuckeln muss (mein Anfangsgehalt bei Elgin betrug neunzehntausend Dollar im Jahr). Ich erinnere mich auch noch genau, wie ich mich fühlte: zutiefst eingeschüchtert und beeindruckt von der Stadt, erfüllt von unheilvollen Ahnungen und großer Hoffnung. Vor allem erinnere ich mich an unsere zahlreichen Twenty-something-Missgeschicke, verursacht fast immer von einem Angehörigen des anderen Geschlechts.
Und daran hat sich eigentlich nichts geändert, denke ich, als ich Jess an einem Tisch in der Ecke mit einem Cosmopolitan entdecke. Sie trinkt nur noch selten Cosmopolitans, aber dieses Getränk ist nach wie vor Bestandteil des Temple-Bar-Rituals (eines Rituals, das sie begründet hat, lange bevor Sex and the City ins Fernsehen kam). Sie reicht mir meinen persönlichen Temple-Bar-Cocktail, einen Martini mit einem Hauch von Wermut. «Wie geht’s dir?»
«Ganz okay», sage ich.
«Wirklich?»
Ich nicke, aber dann sage ich: «Nein. Eigentlich nicht.»
«Okay. Pass auf. Ich habe nachgedacht. Diese Marathon-Nummer ist sowieso einfach nicht dein Ding.»
Wenn dir den ganzen Tag über nichts Besseres eingefallen ist, sitze ich wirklich in der Patsche . «Ich wollte aber immer schon beim Marathon mitlaufen.»
«Ja, ja, ja. Das sagst du. Das sagst du so, wie ich gern ein Mädel wäre, das Spaß am Snowboarding und Bungee-Jumping und Wildwasser-Rafting hat. Ich wünschte, ich hätte was übrig für diese Abenteuer-Sportarten. Aber weißt du was? Ich hab’s nicht. Sie machen mir Angst. Keinen Spaß. Also, nein danke … Und du glaubst vielleicht, du möchtest beim Marathon mitlaufen, aber hey – willst du wirklich sechsundzwanzig Meilen weit rennen? Willst du wirklich in aller Herrgottsfrühe aufstehen und in der Arschkälte trainieren? Nein. Willst du nicht. Also lass diesen Traum endlich sterben.»
«Vermutlich», sage ich. «Ich weiß nicht … Ich weiß, es sollte mir nicht so viel ausmachen. Eigentlich hat sich nichts geändert, seit ich mit Richard in Italien war … oder mit Ben telefoniert habe … oder diese Google-Treffer gesehen habe. Ich bin noch genau da, wo ich immer war – zumindest seit meiner Scheidung. Deshalb weiß ich eigentlich nicht genau, warum es mir auf einmal so viel schlechter geht …»
«Na ja, zu vermuten, dass Ben jemanden hat, war eine Sache. Die Bestätigung ist was ganz anderes. Das ist hart. Das kapiere ich.»
«Ich weiß. Aber ich dachte wirklich, ich bin drüber weg und sehe nach vorn.» Ich denke daran, wie mein Dad mich beim Lunch aufgemuntert hat. «Richard hin, Richard her – ich dachte, ich komme mit meiner Entscheidung zurecht.»
«Aber du kommst damit zurecht, Claudia. Du hast die richtige Entscheidung getroffen», sagt sie. «Nur – beim Nach-vorne-Sehen gibt es eben manchmal kleine Rückschläge. Du brauchtest Richard, um dich über die Trennung hinwegzutrösten. Du musstest dir den Kopf über Bens Trostfreundin zerbrechen. Langfristig gesehen ist Tucker ganz sicher nicht mehr als das. Aber ganz egal, ob sie es ist oder nicht: Du blickst nach vorn.»
«So, wie du nach vorn blickst und Trey vergisst?», frage ich hoffnungsvoll.
«Genau!» Sie strahlt. «Er kommt übrigens nächste Woche nach New York. Er hat mir eine Nachricht hinterlassen. Aber ich habe nicht zurückgerufen.»
Ich schaue sie zweifelnd an.
«Ich schwör’s dir! Und ich werde es auch nicht tun. Ich bin fertig mit ihm. Und du musst einsehen, dass du fertig bist mit Ben.»
Ich nicke. «Okay.»
«Auf einen neuen Anfang.» Sie hebt ihr Glas.
«Auf einen neuen Anfang», sage ich, und ich glaube, diesmal meine ich es beinahe ernst. Fast hundertprozentig.
Dann fangen wir an, uns richtig zu betrinken, und es ist genau wie in alten Zeiten, als ein paar Cocktails in einer trendigen Bar fast alles in Ordnung bringen konnten.
Ben und Tucker erwähne ich in den nächsten paar Tagen nicht. Dann kommt Ethan Ainsley, einer meiner Autoren, vorbei, um hallo zu sagen. Ethan ist vor kurzem von London nach New York gezogen, und darüber freue ich mich, weil er einer der wenigen Autoren ist, die alle vier Punkte meiner Checkliste
Weitere Kostenlose Bücher