Und trotzdem ist es Liebe
kam.
Jess und ich waren beide in Tränen aufgelöst, als der Tag kam, an dem ich zu Ben zog. Im Scherz stellten wir fest, die Trennung fühle sich an wie eine Scheidung. Wir sprachen weiter jeden Tag miteinander, manchmal sogar mehrmals, aber unsere Freundschaft hatte sich spürbar verändert. Die Plaudereien spät in der Nacht oder früh am Morgen sind am Telefon eigentlich nicht möglich, und so gab es sie auch nicht mehr. Zum Teil lag es an einer unvermeidlichen Loyalitätsverlagerung. Ben war jetzt der Mensch, mit dem ich am meisten sprach und an den ich mich in Augenblicken der Krise oder des Glücks zuerst wandte. Ich habe erlebt, dass verheiratete Frauen ihre Freundinnen über ihre Männer gestellt haben; ich bewundere solche weibliche Treue, aber ich glaube auch, dass sich dadurch eine gefährliche Dynamik entwickeln kann. Gewisse Dinge sollten in einer Ehe heilig sein. Jess und ich sprachen nie über die Veränderungen in unserer Beziehung, aber ich merkte, dass sie sie verstand. Ich glaube, sie zog sich auch selbst ein bisschen zurück – aus Respekt vor meiner Beziehung zu Ben und vielleicht auch aus Stolz. Sie zog sich einen neuen Freundeskreis heran – lauter ledige Frauen in den Dreißigern, allesamt auf der Suche nach Liebe.
Manchmal versetzt es mir einen nostalgischen Stich, wenn Jess sich mit den Mädels zur Sangria im Village trifft – oder alles das tut, was wir immer zusammen getan haben. Aber meistens beneide ich sie in ihrer Lage nicht. Wir werden dieses Jahr beide fünfunddreißig, und ich spüre, dass dieser Meilenstein sie belastet. Sie ist nicht verzweifelt darauf aus zu heiraten, aber sie will irgendwann Kinder haben. Und sie weiß, dass Eier ein Verfallsdatum haben (das sind ihre Worte, nicht meine).
Das alles macht es nur noch frustrierender, dabei zuzusehen, wie meine beste Freundin immer wieder die Hauptfigur in einem Roman gibt, wie er von Jackie Collins nicht besser geschrieben werden könnte. Ständig fühlt sie sich zu unerreichbaren Kerlen hingezogen – zu schamlosen Spielern, verheirateten Männern oder Westküstlern, die sich weigern, auch nur in Betracht zu ziehen, in Manhattan zu wohnen. Tatsächlich ist sie jetzt seit zwei Jahren in eine Beziehung zu einem Mann namens Trey verstrickt, der gleich zu allen drei Kategorien gehört. Ich weiß, es ist schwer, ein schamloser verheirateter Spieler zu sein, aber Trey vollbringt diese Leistung geradezu bravourös. Zu Jess’ Verteidigung muss ich sagen, dass Trey ihr erst erzählte, dass er verheiratet ist, nachdem sie Gefühle für ihn entwickelt hatte, aber sie hat jetzt mindestens ein Jahr Zeit gehabt, diese Neuigkeit zu verdauen und weiterzuziehen.
Fazit: Jess hat einen grauenhaften Männergeschmack, und sie hatte ihn schon immer. Schon auf dem College steuerte sie zielstrebig auf den blasierten Verbindungsstudenten zu, bei dem man sich sofort vorstellen konnte, wie er wegen Date-Rape vor dem Ehrenrat stand. Das ist merkwürdig, weil Jess alle anderen Facetten ihres Lebens vollkommen im Griff hat. Sie ist selbstbewusst, komisch und die gescheiteste Frau, die ich kenne. Sie hat Princeton mit einem Abschluss summa cum laude verlassen, ohne besonders viel zu studieren, und dann an der Columbia ein Diplom in Betriebswirtschaft erworben. Jetzt ist sie Investmentbankerin bei Lehman Brothers, zeigt ein hammerhartes Durchsetzungsvermögen in einer von Männern dominierten Welt und verdient ein Geld, das ich bisher nur bei Berufssportlern und Filmstars vermutet habe. Dazu kommt, dass sie aussieht wie ein Model. Mit ihren kurzen blonden Haaren und ihrer großen, gertenschlanken Erscheinung eignet sie sich eher für den Laufsteg als für den Unterwäschekatalog, und in den Augen meiner Schwester Maura illustriert das ihr Problem. «Männer mögen den Laufsteg-Look nicht», sagt sie. «Frauen schon.» (Maura hat eine ganze Kollektion von oberflächlichen Beziehungstheorien. Ein paar Perlen daraus: Der attraktivere Partner in einem Paar hat die Macht. Frauen sollten nur Männer heiraten, die mindestens sieben Jahre älter sind, um die unterschiedliche Geschwindigkeit des Alterns auszugleichen. Kleine, glatzköpfige Männer sollten lieber gut bestückt sein.)
Wie dem auch sei, ich finde, es ist Zeit, mich Jess anzuvertrauen.
Also treffen wir uns am nächsten Tag zum Lunch in einem Deli auf halbem Weg zwischen unseren beiden Büros. Wir bestellen Sandwiches an der Theke und setzen uns dann mit Kartoffelchips und zwei Flaschen Evian an
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