Und trotzdem ist es Liebe
ich weiß, was jetzt passieren wird, und kann es nicht verhindern. Es ist wie eine beängstigende Filmszene mit bedrohlichem Soundtrack. Der Junge saust auf Zoe zu und schreit: «Yo! Yo! Pass auf!» Ich sehe, wie er sich anspannt, um auszuweichen, und ich hoffe, dass er geschickt genug ist. Aber bei der Wende rutscht er von seinem Board und prallt gegen sie. Zoe wird zurückgeschleudert wie eine kleine Puppe und landet mit einem übelkeiterregenden dumpfen Schlag auf dem Gehweg. Der Junge fliegt der Länge nach neben ihr auf das Pflaster. Er sieht eher verlegen als verletzt aus.
Ich höre mich schreien und fühle meinen Herzschlag in den Ohren. Alles um mich herum bewegt sich wie in Zeitlupe, als ich mich an den Zuschauern vorbeidränge und bei Zoe auf die Knie falle. Sie ist grau im Gesicht, ihre Augen sind geschlossen, und Blut läuft über die linke Seite ihres Gesichts auf den weißen Kaninchenfellkragen. Von Angst und Entsetzen erfüllt, sehe ich nach, ob sie noch atmet. Ja! Trotzdem denke ich: Was ist, wenn sie stirbt? Wütend befehle ich mir, nicht durchzudrehen: Kinder sterben nicht, weil sie mit einem Skateboard zusammenstoßen! Es war nur ein kleiner Unfall. Aber dann denke ich: Gehirnerschütterung, Schädel-Hirn-Trauma, Gehirnschaden, Querschnittslähmung . Ich denke an andere verrückte Unfälle; einmal habe ich in 60 Minutes einen Jungen gesehen, der nach einem belanglosen Eishockeyspiel gelähmt war. Flüchtig sehe ich Zoe im Rollstuhl auf ihrem Abschlussball vor mir.
Reiß dich zusammen , denke ich. Unternimm etwas und tu nicht so dramatisch! Aber ich kann nichts weiter tun, als immer wieder Zoes Namen zu rufen und sanft an ihren Schultern zu rütteln. Sie reagiert nicht. Erste-Hilfe-Regeln schwirren mir durch den Kopf, die ich bei den Girl Scouts und auf der High School im Sachkundeunterricht gelernt habe: Den Verunglückten niemals bewegen, wenn Verdacht auf Kopf- oder Halsverletzungen besteht. Die Pupillen kontrollieren. Blutungen durch Druck stoppen. Den Notarzt alarmieren. Um Hilfe rufen .
Ich fühle die neugierigen Blicke und die sorgenvolle Stille um mich herum, als ich ein Kleenex aus meiner Handtasche wühle. Ich drücke es ihr an den Kopf, und ihre Lider öffnen sich flatternd. Dankbarkeit durchflutet mich, und ich sage ihren Namen. Sie wimmert und berührt ihr Gesicht. Als sie das Blut an ihrem rosa Handschuh sieht, schreit sie auf. Dann dreht sie sich zur Seite und übergibt sich. Irgendwo in einem hinteren Winkel meines Hirns erinnere ich mich, dass Erbrechen ein Hinweis auf Gehirnerschütterung ist, aber ich weiß nicht mehr, wie bedrohlich eine Gehirnerschütterung ist. Und ich habe keine Ahnung, wie man damit umgeht.
Zoe richtet sich auf und ruft heulend nach Maura und Scott. «Mommy! Daddy! Wo ist meine Mommy?»
Der Skater kommt angehumpelt und entschuldigt sich murmelnd. «Sorry», sagt er, «sie ist mir in die Quere gekommen.» Ich sehe ihm an, dass er Angst hat, Ärger zu bekommen. Ich will ihm Vorwürfe machen, will ihn anschreien, weil er zwischen so vielen Leuten mit dem Skateboard herumgefahren ist, aber ich sage nur: «Ist schon okay.» Er verdrückt sich, das Board unter dem Arm, um seinen Nachmittag fortzusetzen.
Als ich mich wieder Zoe zuwende, erscheint ein älterer Mann aus dem Nichts und hockt sich zu uns. Er ist gut gekleidet und hat eine leise, beruhigende Stimme. Sanft fragt er, ob ich die Mutter bin.
«Ich bin ihre Tante», sage ich schuldbewusst.
Es ist unter meiner Aufsicht passiert.
«Ich habe Ihnen ein Taxi angehalten.» Er deutet auf den Wagen, der ein paar Schritte weiter in der Hotelauffahrt steht. «Er bringt sie zum NYU Medical Center. Wahrscheinlich muss sie nur genäht werden.»
Zoe heult auf, als sie das Wort «genäht» hört, und protestiert voller Panik, als der Mann sie aufheben will.
«Lass dich von ihm tragen, Schatz», sage ich.
Sie fügt sich. Einen Augenblick später schiebe ich mich in den Wagen. Der Mann gibt mir Zoe herein und reicht mir ein weiches weißes Taschentuch mit seinen Initialen: WRG . «Das wird schon wieder, Kindchen», sagt er, und ich weiß nicht, ob er mich oder Zoe meint, aber ich möchte ihn küssen, diesen freundlichen, silberhaarigen Fremden, dessen Vorname mit W anfängt. Der Mann nennt dem Fahrer die Adresse des Krankenhauses und schließt die Autotür. Wir sausen die Fifth Avenue hinunter, und Zoe rollt sich neben mir auf dem Sitz zusammen und schluchzt. Ich drücke das Taschentuch auf die Platzwunde an
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