Und trotzdem ist es Liebe
zu bekommen, laufen die Leute auch nicht rum und fragen, was für Gründe sie hat.»
«Wohl wahr», sagt Jess. «Aber das ist was ganz was anderes, denn dabei geht es um die Rolle der Frau in der Gesellschaft.»
Im Geiste höre ich, wie Ben über Leute wettert, die «was ganz was anderes» sagen. Bitte, Leute! Da ist ein «was» zu viel! Und wie beim Anblick von Mohammed Muhammeds Namen im Taxi zerreißt es mich innerlich bei dem Gedanken daran, wie sehr ich ihn und seine schrulligen Kommentare vermissen werde.
«Nicht weinen, Schatz.» Jess tätschelt mir das Knie.
Ich kämpfe die Tränen nieder, atme tief durch und sage: «Ich hab’s einfach so satt, dass alle Welt annimmt, man muss Kinder haben, um glücklich zu sein. Ich dachte, Ben ist anders, aber er ist genau wie alle andern. Ich bin einem Lockvogelangebot auf den Leim gegangen.»
«So muss es dir vorkommen.»
Mir fällt auf, dass Jess mir nicht ausdrücklich zustimmt. «Du stehst auf seiner Seite, nicht wahr? Du findest, ich soll einfach den Mund halten und ein Kind kriegen.»
«Ich … urteile nicht über deine Gefühle, was Kinder angeht. Ich bin die Letzte, die über die Lebensentscheidungen anderer Leute urteilen sollte, oder?»
Ich zucke die Achseln, und sie fährt fort. «Ich finde deine Entscheidung völlig legitim. Ich finde, es ist für viele Frauen die richtige Entscheidung … Ich finde, in vielerlei Hinsicht ist es eine sehr mutige Entscheidung. Aber ich finde auch, wir sollten noch einmal darüber sprechen. Ich möchte nicht, dass du etwas bereust.»
«Dass ich was bereue? Keine Kinder zu haben oder Ben zu verlieren?»
«Beides», sagt sie. «Denn im Moment ist das anscheinend ein und dasselbe.»
Ich putze mir die Nase und nicke. «Okay.»
Jess lehnt sich auf der Couch zurück und sagt: «Also fang damit an. Und dreh jeden einzelnen Stein um.»
Ich trinke einen Schluck Kaffee, überlege einen Augenblick, und statt meine üblichen Gründe zum x-ten Mal aufzuzählen, sage ich: «Hab ich dir schon mal von der Studie über Mäuse erzählt, denen das Mest-Gen fehlt?»
Sie schüttelt den Kopf. «Nein. Da klingelt nichts.»
«Na ja, es war eine Studie, in der Wissenschaftler festgestellt haben, dass Mäuse, denen dieses spezielle Gen fehlt – das Mest-Gen –, abnormal auf ihre Neugeborenen reagieren. Einfach gesagt: Ohne dieses Gen haben sie keinen Mutterinstinkt, und deshalb füttern und versorgen sie ihre Jungen nicht, wie andere Mäuse es tun.»
«Und? Willst du sagen, dir fehlt das Mest-Gen?»
«Ich will nur sagen, dass manche Frauen wahrscheinlich … diesen Mutterinstinkt nicht haben. Ich glaube, ich habe ihn nicht.»
«Überhaupt nicht? Nicht mal eine Spur davon?», fragt sie. «Denn ich habe schon viele Frauen sagen hören, dass sie dachten, sie hätten ihn nicht, bis sie selbst ein Kind bekamen. Und dann – voilà! Die volle Brutpflege.»
«Ist das ein risikoloses Spiel?», frage ich. «Was ist, wenn es nicht so kommt?»
«Na ja. Ich glaube, es gibt eine Menge Spielarten von effizienter Mutterschaft. Man muss nicht Betty Crocker oder June Cleaver sein, um eine gute Mutter zu sein.»
«Okay. Aber was ist, wenn ich bereue, überhaupt ein Kind bekommen zu haben? Was dann?»
Jess runzelt die Stirn, als sei sie tief in Gedanken versunken. «Du kannst gut mit Kindern umgehen», sagt sie. «Und du scheinst sie wirklich zu mögen.»
«Ich mag sie auch.» Ich denke an die Kinder meiner Schwester und an Raymond jr. Daran, wie gut es sich anfühlte, den warmen kleinen Körper an mich zu drücken und den süßen Babygeruch einzuatmen. «Aber ich habe absolut kein Verlangen danach, ein eigenes auf Vollzeitbasis zu haben. Und ich bin fest davon überzeugt, wenn ich eins hätte, würde ich es Ben am Ende übelnehmen. Schlimmer noch, ich glaube, ich würde es dem Kind übelnehmen. Das ist allen gegenüber unfair.»
Jess nickt wieder und guckt ernst wie ein Seelenklempner, der sagt: «Weiter so, wir machen wirklich gute Fortschritte.»
«Mir gefällt mein Leben so, wie es ist. Ich mag unseren Lebensstil. Unsere Freiheit. Ich kann mir nicht vorstellen, im Zustand beständiger Angst zu leben, wie es Eltern tun. Angst vor plötzlichem Kindstod, Angst, das Kind könnte die Treppe herunterfallen, Angst vor einem Unfall wegen Alkohols am Steuer … Angst, die achtzehn Jahre lang nicht weggeht. In mancher Hinsicht geht sie niemals weg. Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Das sagen alle.»
Jess nickt.
«Und
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