Und trotzdem ist es Liebe
nicht bald bei uns ist, ja?» Mein keifender Ton ist mir selbst zuwider.
Eins der Dinge, die ich mir bei der Arbeit zugutehalte, ist es, dass ich niemals irgendetwas an anderen Leuten auslasse – nicht an meiner Assistentin, nicht an Autoren. Ich hasse Leute, die ihre privaten Probleme mit ins Büro nehmen, und ich frage mich: Wenn schon das bloße Reden über Kinder meine Arbeit beeinträchtigt, welche Auswirkungen hätte es erst, wenn ich tatsächlich eins hätte?
An diesem Abend lese ich ein Manuskript zum zweiten Mal und merke, dass ich nicht so hingerissen bin, wie ich es war, als ich es gekauft hatte. Es ist eine schrullige Liebesgeschichte – und ich frage mich unwillkürlich, ob mein Sinneswandel etwas mit dem zu tun hat, was in meiner Ehe geschieht. Bei dem Gedanken, dass es so sein könnte, gerate ich in Panik. Ich will mich um keinen Preis verändern. Ich will nicht, dass mein Leben sich verändert. Ich schlafe auf der Couch ein, ich mache mir Sorgen, ich warte darauf, dass Ben nach Hause kommt. Irgendwann höre ich, wie er hereinstolpert, und dann fühle ich, dass er vor der Couch steht. Ich öffne die Augen und sehe ihn an. Sein Haar ist zerzaust, und er riecht nach Bourbon und Zigaretten, aber er sieht immer noch umwerfend aus. Ich habe das plötzliche, verrückte Bedürfnis, ihn auf mich zu ziehen und es mit ihm zu treiben. Trotz Zigarettenatem.
«Hi», sagt er, und irgendwie schafft er es, ein Wort mit zwei Buchstaben zu lallen.
«Wo bist du gewesen?», frage ich leise.
«Unterwegs.»
«Wie spät ist es?»
«Irgendwas nach zwei.»
Und dann macht er einen Witz. Irgendetwas über die Vorteile des kinderlosen Lebens. Mir fällt auf, dass er das Wort «kinderlos» benutzt und nicht sagt, was wir immer gesagt haben: «kinderfrei». Plötzlich bin ich wieder wütend.
«Wirklich sehr reif, Ben.» Ich stehe auf und gehe in Richtung Badezimmer. «Gibst dir die Kante, wenn es hart auf hart kommt. Ein beeindruckender Zug bei jemandem, der glaubt, er könnte ein toller Dad werden.»
Es sind harte, ungerechte Worte. Ben ist alles andere als verantwortungslos. Aber ich nehme nichts zurück. Ich lasse die Worte zwischen uns im Raum stehen.
Bens Augen werden schmal. Dann räuspert er sich und sagt: «Fuck you, Claudia.»
«Nein, fuck you , Ben.» Ich gehe an ihm vorbei und schlage die Badezimmertür hinter mir zu. Meine Hand zittert, als ich die Zahnpastatube aufschraube.
Während ich mir die Zähne putze, geht mir unser Wortwechsel durch den Kopf. Ein erstes Mal. Wir reden nie so miteinander. Wir haben uns schon hitzig gestritten, aber nie haben wir einander beschimpft oder geflucht. Paaren, die sich auf solche Gefechte einlassen, haben wir uns immer überlegen gefühlt. Und so wird das gegenseitige Fuck you augenblicklich zu einem Symbol der Sackgasse, in die wir geraten sind – und unserer drohenden Trennung. Es klingt vielleicht melodramatisch, das Ende einer Beziehung an zwei harten Worten festzumachen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass wir hier unwiderruflich eine Grenze überschritten haben.
Ich spucke einen Mundvoll Zahnpasta aus und frage mich, was ich als Nächstes tun soll. Es muss etwas Bedeutsames sein, etwas, das mehr sagt als eine auf der Couch verbrachte Nacht. Ich muss das Wort «Scheidung» aussprechen oder aus unserer gemeinsamen Wohnung ausziehen. Ich gehe um die Ecke und in unser Schlafzimmer, und ich wühle meinen größten Koffer aus dem Schrank. Ich fühle, dass Ben mich beobachtet, als ich wahllos ein paar Sachen hineinstopfe. T-Shirts, Unterwäsche, Jeans und ein oder zwei Büro-Outfits. Während ich hektisch packe, ist mir, als beobachtete ich mich selbst in der Rolle der wütenden Ehefrau.
Irgendwann überlege ich es mir anders. Ich will nicht mitten in der Nacht meine Wohnung verlassen. Aber ich bin zu stolz, um jetzt umzuschwenken. Es ist absolut lächerlich, einen Koffer zu packen und dann zu bleiben. Als knallte man in selbstgerechter Empörung den Hörer auf die Gabel und riefe dann augenblicklich wieder an. Das geht einfach nicht. Also gehe ich mit dem Koffer in der Hand ruhig zur Tür und hoffe, dass Ben versuchen wird, mich zu stoppen. Ich bücke mich mit angehaltenem Atem, ziehe mir die Turnschuhe an, mache einen Doppelknoten in die Schnürsenkel, trödle damit, um ihm noch ein paar Sekunden zu geben, noch ein bisschen Zeit, um eine Entschuldigung zu formulieren. Er soll vor mir niederknien, alles zurücknehmen und mir sagen, wie sehr er mich liebt. So
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