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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Schale neben seiner Schreibunterlage genommen hatte.
    »Ich dachte, ich schaffe es. Ich behalte ihn bei mir und kümmere mich um ihn. Ich rasiere ihn am Morgen, wasche ihn, und danach mache ich ihm das Frühstück, bevor ich zur Arbeit gehe. Am Abend komme ich wieder, koche ihm was zum Abendessen, sehe ein bisschen fern mit ihm und bringe ihn dann ins Bett. Aber er wollte nichts essen, nicht mal so viel, wie er brauchte, um am Leben zu bleiben. Ich bringe ihm einen Milchkaffee und einen Teller mit Rührei und Schinken, und er trinkt den Kaffee, und den Teller nehme ich wieder mit.«
    Nachdem er die Büroklammer zu einem fast geraden Stück Draht auseinandergebogen hatte, versuchte der Hoofdcommissaris, sie wieder in ihre alte Form zu bringen.
    »Ich hatte eine Frau, Hannah, die ich heiraten wollte«, sagte er, » wir wollten heiraten. Ich glaube, sie hat mich geliebt – im Rahmen ihrer Möglichkeiten, sozusagen. Tja, der Rahmen war leider zu klein, wie sich herausstellte, und das Bild darin hat ihr nicht mehr gefallen, als mein Bruder plötzlich mit drauf war, im Rollstuhl, in unserer Wohnung, jeden Tag. Sie hat mich verlassen. Sie ging, und mein Bruder blieb, aber dann merkte ich, dass ich mir etwas vorgemacht hatte. Ich konnte nicht beides, für ihn da sein und für meine Arbeit. Und ich wollte es auch nicht. Ich habe ihn in ein Pflegeheim gegeben. Das war meine Entscheidung.«
    Er warf die Büroklammer, die sich seinen Bemühungen widersetzt hatte, in den Resopalpapierkorb neben seinem Schreibtisch.
    »Ich habe mich anders entschieden«, sagte der Commissaris.
    »Dann will ich dich in meiner Polizei nicht mehr sehen«, sagte der Hoofdcommissaris und kehrte zurück zu dem gewohnten Befehlston, in dem er von jeher seine dienstlichen Anweisungen erteilt hatte. »Du bist mit sofortiger Wirkung vom Dienst beurlaubt.«
    Es war dunkel in der Wohnung, bis auf den Widerschein der Straßenlaternen, der vom Wasser in der Gracht als Lichtspiel an die Wohnzimmerdecke geworfen wurde. Die Fenster der Häuser auf der anderen Seite der Gracht waren fast alle hell erleuchtet; Van Leeuwen konnte den Bewohnern durch das grüne Blättergewirr der Ulmen bei ihrem Feierabend zusehen. Er saß auf der Couch und dachte über die letzten Tage nach, ob er sich richtig verhalten hatte, welche Fehler ihm unterlaufen waren.
    Der Hoofdcommissaris hatte Recht, es war unverzeihlich, dass sie den Jungen im Blue Note hatten entkommen lassen. Jemand musste dafür die Verantwortung übernehmen. Ein Mörder, der wusste, dass man ihm auf der Spur war, konnte so gefährlich werden wie ein angeschossener Löwe im afrikanischen Busch. Aber in Wirklichkeit haben wir gar keine Spur, dachte Van Leeuwen. Wenn er vorsichtig ist, sich gut versteckt und sich von dem Club und den Kindern fernhält, werden wir ihn nie mehr zu sehen kriegen. Und in Amsterdam kann man sich sehr gut verstecken.
    Nach dem Gespräch mit dem Hoofdcommissaris war Van Leeuwen hinunter in sein Büro gegangen und hatte Gallo, Vreeling und Julika Tambur von seiner Beurlaubung berichtet. Er hatte ihre Proteste und Zornesausbrüche im Keim erstickt und Hoofdinspecteur Gallo die Leitung der Ermittlungen übertragen. Der Hoofdinspecteur hatte gesagt: »Wir halten dich über jeden Schritt auf dem Laufenden. Für uns ist das weiter dein Fall.«
    »Lasst die Kinder nicht aus den Augen.« Van Leeuwen gab zum Abschied jedem die Hand. »Die Überwachung darf auf keinen Fall eingestellt werden. Er war gestern und vorgestern nur im Blue Note , weil er Tic und Robbie gesucht hat. Wo Deniz wohnt, weiß er schon. Sie waren eine Clique. Was immer das Geheimnis ist, er hat Angst, Kevin könnte es ihnen erzählt haben. Wenn er klug ist, hält er sich versteckt. Aber ich glaube nicht, dass er so klug ist. Ihr habt ihn alle gesehen, ihr wisst, wie er aussieht. Lasst eine Phantomzeichnung anfertigen, mit und ohne Hut, Sonnenbrille und Mantel. Gebt die Zeichnung an alle Reviere und an jeden Streifenwagen, aber nicht an die Presse oder ans Fernsehen. Großfahndung ja , aber so unauffälligwie möglich. Nehmt euch vor allem die Schulen vor – Schulen, Jugendclubs, Discos, die ganze Szene: Hip-Hopper, Breakdancer, alles, wo Farbige sich treffen.«
    Der Commissaris saß im dunklen Wohnzimmer auf der Couch und fragte sich, ob er sich richtig entschieden hatte. Vielleicht saß auch der Hoofdcommissaris gerade in seiner Wohnung auf der Couch und fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber

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