Und was, wenn ich mitkomme?
machbar. Die Hamburgerin hat das angemessene Maß eindeutig nicht gefunden, die junge, dunkelhaarige Frau schon. Also fische ich aus meinem Rucksack Damenbinden und Tampons und reiche ihr meinen intimsten Besitz. »Thanks!«, ruft sie, und weg ist sie. Pit und Doris auch gleich. Sie gehen nämlich einkaufen, und zwar ohne Lieselotte — die Hamburgerin hat nach meiner Abfuhr natürlich nicht gewartet. Ich schreibe unterdessen Tagebuch.
Dann, kurz vor sieben, gehen wir zur Abendandacht der Mönche. Die ganze Messe hindurch wird gesungen. Ich finde das sehr meditativ. Aber Pit langweilt sich und kämpft mit dem Schlaf. Ich kann ihn verstehen. Besonders bei der Sache scheinen die Mönche nämlich nicht zu sein. Sie putzen sich Brille und Nase an ihren langen weißen Kuttenärmeln, blättern geräuschvoll in ihren Liederbüchern nach Texten, die sie nach jahrelangem Mönchsleben eigentlich auswendig können müssten, und singen so schief, dass man musikalisch schon sehr langmütig sein muss, um das Ganze zu genießen. Für mich ist es trotzdem wie Innehalten. Ich kann Zwiesprache mit meinem Gott halten, und das tut mir gut.
Danach muss ich mich fast ein bisschen aufraffen, um mit den anderen zum Essen zu gehen. Aber dies ist schließlich Doris’ Abschiedsabend, und den will ich auf gar keinen Fall verpassen. In dem einzigen Restaurant am Ort bestellen wir uns ein leckeres Abendmenü. So oft es geht, wähle ich Fisch, wenn ich nun schon mal am Meer bin. Unser Gespräch nach dem Essen fällt heute eher ernst aus. Christian, der nicht mit uns an der Abendmesse teilgenommen hat, lässt nicht locker. Ohne dass wir viel erzählt haben oder es besonders erwähnen mussten, hat er mitbekommen, dass wir mit Gott leben. Nun will er wissen, warum und wie und überhaupt.
Wir glauben, dass es Gott gibt. Wenn ich gründlich darüber nachdenke, sehe ich gar keine andere Möglichkeit. Ein waschechter Atheist glaubt auch, nämlich, dass es vor dieser Welt und danach nichts gegeben hat und nichts mehr geben wird. Aber warum leben wir dann? Warum gibt es diese Welt? Etwa bloß, weil ein paar Moleküle zur rechten Zeit am rechten Ort zusammentrafen? Wer hat den rechten Ort und die rechte Zeit festgesetzt? Fragen, an denen honorige Wissenschaftler scheitern. Und selbst die — Albert Einstein höchstpersönlich allen anderen voraus — schließen, wenn sie ernst zu nehmen sind, die Existenz Gottes längst nicht mehr aus. Wenn es aber auch nur im Ansatz stimmen könnte, dass es Gott gibt, dann ist es folgerichtig, auch mit ihm zu leben. Denn wer will sich anmaßen, entgegen dem zu leben, der einen geschaffen hat mit allem, was einen ausmacht? Wenn es Gott aber nicht gibt, dann ist es trotzdem hilfreich, sich nach göttlichen Werten und Maßstäben zu orientieren, denn erwiesenermaßen tragen die weit mehr zu einem guten Miteinander bei als alle noch so tiefgründigen Philosophien oder Ideologien. Man braucht sich doch nur anzusehen, wie es auf der Welt zugeht. Klar, auch Christen können gemein, unfair, heuchlerisch und boshaft sein. Das hat die Geschichte zur Genüge bewiesen. Gott selbst aber ist es nicht, was leicht an seiner Geschichte mit den Menschen abzulesen ist. Und darum geht es ja schließlich, oder? Außerdem haben wir ihn erlebt und erfahren, ganz konkret in unserem Alltag. Wozu andere Zufall sagen, das nennen wir Eingreifen Gottes. Eine Sichtweise unter vielen? Vielleicht. Aber dass ich meinen Mann liebe und eine Beziehung zu ihm habe, lässt sich auch nicht beweisen und ist nicht mehr als meine persönliche, subjektive Sichtweise — die aber mein Leben verändert und meine Lebensweise beeinflusst hat.
Christian fragt uns Löcher in den Bauch. Wir gehen so ausführlich darauf ein, wie wir können. Im Gegenzug erklärt er uns seine Lebenseinstellung. Warum sollte nicht auch an den anderen Weltreligionen etwas dran sein? Und: Kann man sein Leben nicht auch an ethischen und moralischen Maßstäben ausrichten und damit eine Bereicherung für die Gesellschaft sein? Klar... Leben lässt sich mit vielem. Ob es aber auch zum Sterben reicht? Es ist richtig entspannend, einander zuzuhören, ohne überzeugen zu wollen. Jeder kann sagen, was er denkt, und es wird, ohne es bis ins Kleinste zu sezieren, stehen gelassen.
Aber damit klingt der Abend längst nicht aus. Zu viert sitzen wir noch in unserm Dreierzimmer, trinken Wein und reden. Pit und Doris bekommen zur Feier des Tages eine Fußmassage von mir. Dann werfen wir Christian
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