Und was, wenn ich mitkomme?
Drinnen bekommen wir von den Herbergseltern Luis und Sophie Kaffee und einen Stempel in unseren Pilgerausweis, der schon richtig bunt aussieht. Es gibt Toiletten und Duschen für Männer und Frauen getrennt und einen Schlafsaal für alle. Wir werden also wieder mit einer Menge Leute zusammen übernachten. Schade... Ich hatte mich auf ein bisschen Zweisamkeit gefreut. Aber habe ich mir nicht vorgenommen, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind? Ich muss wohl noch viel lernen.
Das Geschwisterpaar von gestern Abend trifft ein. Er heißt Vincent. Ihren Namen erfahren wir nicht, nur, dass sie Rechtsanwältin ist. Beide blitzgescheite und gutgelaunte Kanadier. Auch Lieselotte ist wieder da. Ob gelaufen oder gefahren, ist nicht herauszubringen. Sie würdigt uns keines Blickes. Aber ihre Wäsche flattert neben unserer im Wind. Trautes Beisammensein von Unterhosen und Socken...
Es wird kalt, und ich habe Hunger. Pit klappt gerade sein Tagebuch zu. Ich bin gespannt, was er geschrieben hat.
Aus Pits Tagebuch:
Doris hat uns nach dem desayuno verlassen. Die erste Etappe, die Eva und ich allein laufen, liegt vor uns. Wir reden viel — das erste Mal seit unserem Start in Irun. Es ist schön, so frei zu sprechen. Doris hat überhaupt nicht gestört. Ganz im Gegenteil. Wir hatten viel Spaß und haben viel Anteil aneinander genommen. Aber jetzt ist es doch anders. Eva und ich fallen sofort in den gleichen Laufrhythmus, und es geht flott voran.
Nach zwei Tagen erreichen wir heute wieder das Meer. Im Süden ist immer noch das Picos-Europa-Gebirge zu sehen. Der Weg ist ein Traum: Wenig Landstraße, so kann es bleiben.
Mittags kommen wir in Oyambre an, einem faszinierenden Naturpark. Ein schmaler Damm führt über eine vom Meerwasser überflutete Fläche, aus der kahle und dürre Baumstämme ragen. Eine Landschaft wie aus einem Science-Fiction-Film. Auf der anderen Seite des Dammes treffen wir auf Christian. Zusammen laufen wir zum Strand von La Rabia. Christian passt auf unsere Rucksäcke auf, und Eva und ich springen in die Fluten. O.k., nur bis zum Hintern, denn das Wasser ist sehr kalt und die Brandung voller gefährlicher Unterströmungen. Einen Versuch war es aber wert.
Nach einem kleinen Imbiss machen wir uns auf nach San Vicente. Bis zur Herberge ist es nicht mehr weit. Es gibt 40 Betten in einem Zimmer und sehr liebe Herbergseltern, Sophie und Luis. Heute Abend werden wir hier essen. Vielleicht schreibe ich ja, wie es geschmeckt hat.
Fortsetzung folgt...
18. TAG SAN VICENTE — COLOMBRES
Das Essen gestern Abend war fantastisch. Luis servierte als kleine Vorspeise Ziegenkäse auf Salzkräckern, die wir gleich im Stehen wegmümmelten. Danach gab es Nudeln und Tomatensoße und Salat und Brot und Obst und Joghurt und natürlich wieder reichlich vino tinto... Und zum krönenden Abschluss ein kleines Konzert von Sophie. Pilger sind offensichtlich ein sicheres Publikum, denn wer einmal am Tisch sitzt, der entfleucht nicht so schnell. Sophie nutzte das gründlich aus. Zuerst wollte sie uns noch zum Mitsingen animieren. Keiner hatte wirklich Lust dazu, was Sophie aber überhaupt nicht störte. So sang sie eben allein klassische Lieder von Schubert und anderen. Der Einzige, der mit einstimmte, war Vincent, dessen Stimme sich als überraschend kräftig und sicher erwies und der die Lieder fröhlich von Notenblättern, die Sophie verteilt hatte, mitträllerte, als hätte er extra dafür geprobt. Beim Abendlied fiel noch unsere Hamburgerin mit ein und hatte so endlich auch mal ihren großen Auftritt. Uns war das alles ziemlich peinlich.
Als Sophie endlich die Tafel aufhob, blieben Pit, Christian, Vincent und ein französischer Pilger noch am Tisch sitzen. Vincent zauberte Spielkarten hervor und erklärte die Spielregeln in drei Sprachen. Dann wurde gepokert und herumgealbert. Zum Schluss strichen Christian und Vincent den Gewinn ein, steckten aber alles in das kleine Porzellanschwein, das Luis als Spendentopf auf dem Tisch deponiert hatte. Denn bezahlt werden mussten bloß 3 Euro pro Person für die Übernachtung, während jeder für das Essen geben konnte, was er wollte und für angemessen hielt.
Mittlerweile zeigte die Uhr halb elf. Für einen Pilger ist das ganz schön spät. Aber im Schlafsaal ging es noch fröhlich weiter. Vincent hielt es für ausgesprochen witzig, uns andere in den Schlaf zu furzen. Kindskopf aber auch... Es wurde noch lange im Dunkeln gekichert. Nur unsere Lieselotte lag unter einer dicken Schicht von
Weitere Kostenlose Bücher