Und was, wenn ich mitkomme?
Jacken und Decken und rührte sich nicht. Gar nicht so unvernünftig. Schließlich zwirbelten auch wir unser Ohropax in die Ohren und dann: Ruhe im Bau...
Heute Morgen sind wir bei herrlichstem Wanderwetter gegen halb neun aufgebrochen. Dreieinhalb Stunden lang geht es durch eine ländliche Gegend. Auf den Weiden bimmeln Kühe mit ihren Glocken. Hofhunde reißen bis kurz vor der Strangulierung an ihren Ketten und kläffen uns mit mordgierig gefletschten Zähnen an. Mittlerweile sind wir sie gewöhnt. In jedem Haushalt scheint es hier mindestens ein oder zwei — manchmal sogar mehr — Hunde zu geben, und alle machen einen ungezähmten und neurotischen Eindruck. Auf freiem Feld möchte ich denen nicht begegnen. Zum Glück ist das bis jetzt auch nicht passiert. Und wenn, dann habe ich immer noch meine Wanderstöcke, die hoffentlich etwas gegen die Bestien ausrichten können...
Die Wiesen stehen voller Blumen, und am Wegrand, hinter Zäunen und vor Mauern, blüht es üppig. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll, und fühle mich reich dafür entschädigt, dass ich in diesen Wochen meinen eigenen »Frühlingsgarten« nicht erleben kann.
Christian läuft wieder mit uns. Dabei wäre ich jetzt gerne ein bisschen mit Pit allein. Und auch Pit gibt mir durch verstohlene Blicke zu verstehen, dass er unsere Zweisamkeit vermisst. Aber keiner von uns beiden sagt etwas. Christian ist ein lieber Kerl. Wir mögen ihn und möchten ihn nicht vor den Kopf stoßen. Andererseits möchten wir aber auch für uns sorgen und das tun, was wir wirklich wollen und was uns wichtig ist. Warum ist das so schwer?
Das Problem löst sich von allein. Christian legt ordentlich Tempo vor, und bergauf hängt er uns einfach ab. Hat er etwas gespürt, oder hatte er auch bloß Lust, ein Stück allein zu wandern, seinen Gedanken nachzuhängen, seine eigene Geschwindigkeit zu laufen? Keine Ahnung. Und eigentlich auch schade, dass wir nicht darüber gesprochen haben. Das, worüber man nicht spricht, kann zu Verunsicherungen führen. Pit und ich haben jetzt Zeit, ausführlich über dieses Thema zu reden, anders als zu Hause, wo ein Gespräch oft unterbrochen und vertagt werden muss. Hier können wir entspannt einen einmal aufgenommenen Gedankenfaden zu Ende spinnen und zu einem Ergebnis kommen, was in diesem Fall bedeutet, dass zumindest wir uns in Zukunft offen sagen wollen, was wir denken und was wir uns wünschen, auch wenn wir damit das Risiko eingehen, einander zu verletzen. Aber so können wenigstens keine Missverständnisse aufkommen; jeder weiß, woran er ist, und hat eine echte Chance, den anderen zu verstehen. Ich glaube, so lassen sich selbst Verletzungen am ehesten aus der Welt schaffen, besser jedenfalls, als wenn sie unausgesprochen im Inneren gären und am Schluss die Beziehung verderben.
Christian treffen wir erst in Serdio wieder, wo er am Dorfbrunnen picknickt. Pit und ich wandern aber weiter und — verlaufen uns. Unser Umweg ist eine Wucht: überraschender Meerblick, duftender Eukalyptuswald und ein Abstieg durch steiniges Gebiet, das mir wie ein riesiger Felsengarten voller exotischer Blumen vorkommt. Wunderschön! Wir klettern über zwei Feldsteinmauern, staksen durch kniehohes Weidegras und landen schließlich in einer Sackgasse. Es hilft alles nichts, wir müssen einen weiten Bogen bis zur nächsten Straße schlagen und kommen kurz hinter Serdio wieder heraus. Die ganze Pracht hat uns mindestens vier Kilometer gekostet. Aber es geht uns gut. Wir reden über Gelassenheit, und wir haben sie auch.
Christian muss lange gerastet haben, denn wir holen ihn nach nur einer Stunde in Pesués wieder ein. Gemeinsam geht es weiter. Aber ab jetzt wird es unschön — eine monotone Landschaft, nur Asphalt und Beton. Nichts sticht hervor, das im Gedächtnis haften bleiben würde, höchstens die letzten Kilometer vor unserem Etappenziel Unquera, die über schmale, steinige Pfade durch das Unterholz eines verwunschenen Mischwaldes fuhren. Aus dem Wald heraus geht es sehr steil und rutschig bergab, und ich fürchte um mein Knie. Sehr langsam und vorsichtig setze ich Schritt vor Schritt. Pit geht gemächlich voraus, bereit, mich sofort zu stützen. Christian aber ist schon längst unten. Weil es so lange dauert, hat er seinen Rucksack abgesetzt und sich auf einer Betonröhre, von denen hier eine Menge wie auf einer Baustelle herumliegen, niedergelassen. Er kaut an einem Apfel und wartet. Meinem Knie hat die Vorsicht gutgetan. Es macht —
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