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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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hängen Nebelschwaden, und über dem Wasser schwebt blauer Dunst. Das sieht sehr träumerisch aus. Das Wandern aber ist anstrengend. Schweiß verklebt uns die Haare und durchtränkt unsere T-Shirts. Pit hat vor einigen Tagen die Ärmel aus seinem Shirt getrennt, um mehr Luft an die Achseln zu bekommen. Das Ding ist sowieso schon an mehreren Stellen durchlöchert. Mit seiner schlabberigen, kurzen
    Turnhose und dem Vier- oder Fünftagebart sieht er aus wie Räuber Hotzenplotz. Ich kann nur staunen, dass ihm das gar nichts ausmacht. Zu Hause achtet er sehr auf ein adrettes Erscheinungsbild. Doch hier zählen offensichtlich andere Werte, nämlich was praktisch ist und was guttut. Bei dieser Schwüle heute ist das eindeutig ein ärmelloses T-Shirt.
    Christian würde hier oben gerne noch einmal Rast machen, um die atemberaubende Sicht zu genießen. Aber weit und breit gibt es kein Schattenplätzchen, und so laufen wir weiter. In der Ferne können wir unser Ziel erkennen: Lianes, ein großflächiger Ort mit drei Stränden und einem Hafen.
    Am Ende der Strecke lassen dann leider wieder meine Kräfte nach. Jeder Schritt reißt an den Bändern in meinen Leisten. Und auch mein Knie meldet sich wieder. Den letzten Berg herunter quäle ich mich mächtig. Christian und Pit sind längst unten. Christian wartet und passt auf Pits Rucksack auf, während Pit mir entgegenkommt, um mir mein Gepäck abzunehmen. Mir ist das unangenehm, und ich schäme mich für meine Schwäche. Gleichzeitig bin ich dankbar für die Hilfe. Eine komische Gefühlsmischung. Ich bin froh, als wir Lianes erreichen und ich nicht länger darüber nachdenken muss. Sich mit dem eigenen Unvermögen auseinanderzusetzen ist nämlich ziemlich harte emotionale Arbeit. Und dafür reicht heute meine Kraft nicht mehr aus. Immerhin habe ich unter nicht besonders leichten Bedingungen fast 27 Kilometer zurückgelegt. Darauf möchte ich jetzt einfach mal bloß stolz sein!
    Die Jugendherberge in Lianes ist in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude untergebracht. Wir haben ein Zimmer direkt am Bahnsteig. Christian ist bei uns und eine Schweizerin, die wir aber nicht näher kennenlernen. Nach einer erfrischenden Dusche und nachdem Pit sich ordentlich rasiert hat — die Zivilisation hat einen Bürger zurückgewonnen — spazieren wir mit Christian an unserer Seite und unserem Abendessen im Stoffbeutel durch die Stadt an den Strand. Es gibt Rotwein, Brot, Oliven und Käse. Danach schauen wir uns den Hafen an, wo ein echtes Kunstwerk zu bestaunen ist. Die Wellenbrecher sind bunt bemalte Betonwürfel. Wenn das Meer dagegen klatscht und die Farben mit Salzwasser überzieht, leuchten sie in der Abendsonne fröhlich bunt wie ein Kinderbild. In unserem Outdoor-Handbuch lesen wir, dass diese Würfel im Jahr 2001 von dem baskischen Maler und Bildhauer Augustin Ibarrola gestaltet wurden und den Namen »cubus de la memoria « (Erinnerungswürfel) tragen. An was sie erinnern sollen, steht leider nicht dabei. Schade...
    Wir sitzen lange auf der Kaimauer, betrachten den Himmel, das Meer und die originellen Wellenbrecher und beobachten, wie der Tag sich langsam am Horizont verabschiedet. Wir haben zum Glück unsere Fleecejacken an. Aber der Wind weht kühl, und so machen wir uns schließlich im Dämmerlicht auf den Rückweg. Gegen neun liegen wir im Bett. Wir schlafen sofort ein.

20. TAG LLANES — PIÑERES — RIBADESELLA

    Aus Evas Tagebuch:
    Heute geht es mir nicht gut. Rücken und Leisten schmerzen und bis zu unserem Etappenziel Piñeres sind es gut und gerne 20 Kilometer. Der Weg ist wieder ein Traum: Idyllische Orte mit herrschaftlichen Villen, verwunschene Pfade durch satte, dichte Vegetation, an Mauern, Hecken und Zäunen Kaskaden von Rosen: Dornröschenweg! Überall Wiesen voll blühender Apfelbäume, Badebuchten mit Sand so weiß wie rein gewaschen.
    Unseren Frühstückskaffee bekommen wir in Póo, und unsere erste Rast machen wir auf dem verlassenen und verfallenen Klostergelände von San Antolin de Beón. In Nueva, wo wir gegen zwei Uhr zu Mittag essen, treffen wir wieder auf Christian. Es sind nur noch zwei Kilometer bis zu unserem Etappenziel Piñeres. Hier stoßen wir auf ein sehr uriges kleines Häuschen, das aber leider fest verschlossen ist. Christian hat hinter dem Haus schon seine nassen Handtücher über die Leine gehängt. Da winkt Pit ihn zurück, denn er hat einen Zettel gefunden, den andere Pilger hinter die Türklinke geklemmt haben und auf dem sie uns informieren, dass

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