Und was, wenn ich mitkomme?
Bar finden wir hier nicht. Erst in Pendueles entdecken wir nach langem Suchen einen Tante-Emma-Laden, in dem wir Brot, Käse, Joghurt, Obst und Wasser einkaufen. Wir haben elf Kilometer hinter uns und immer noch kein Frühstück. Doch nach drei weiteren Kilometern erreichen wir hinter einem verlassenen Naturcampingplatz den Playa de Bretones, lagern auf ein paar flachen Felsen, plündern unseren Proviant und beobachten einen Mann, der seine zwei Hunde über Berge von Steinen auf den Sand gelockt hat und jetzt mit ihnen in der flachen Brandung tobt. Was für eine Harmonie zwischen Mensch, Tier und Natur...
Es ist elf Uhr vormittags. Wir haben ungefähr die Hälfte der heutigen Etappe hinter, den Tag aber noch vor uns. Wir können uns also alle Zeit der Welt lassen. Laut Jakobsweg-Richtungspfeilen soll es die nächsten knapp neun Kilometer auf oder neben der N 634 weitergehen. Unser Wanderführer schlägt jedoch vor, den mit E 9 ausgeschilderten längeren, aber landschaftlich unvergleichlich schöneren Weg an der Küste entlang einzuschlagen. Wir entscheiden uns für diese Alternative. Die Gegend hier wirkt schweizerisch, Felsen und Blumenwiesen, außerdem Eukalyptus- und Nadelbäume. Pit meint: ein Meisterwerk aus Gottes Händen. Ich kann ihm nur zustimmen. Merkwürdig ist bloß, dass wir auf der rechten Seite hinter den Hügeln das Meer wissen. Im Süden begleitet uns immer noch das Picos Europa-Gebirge. Das haben wir bereits vor einer Woche vor uns in der Ferne gesehen, und jetzt laufen wir parallel dazu. Der Blickwinkel hat sich zwar verändert, aber das Gebirge ist uns inzwischen sehr vertraut geworden und hat sich unserem Gedächtnis einge-prägt.
»Hier vermisse ich gar nicht meinen Fotoapparat«, stellt Pit erstaunt fest. »Hätte ich nie gedacht, dass es mir so leicht fällt, auf das Fotografieren zu verzichten. Im Gegenteil: Ich finde es sogar gut. Nichts, was ablenkt. Laufen ist die einzige Beschäftigung. Und natürlich Gucken und Eindrücke sammeln. Sogar Geräusche kann ich hier ganz anders in meinen Kopf aufnehmen.« »Geräusche?«, hake ich nach.
»Ja, hör mal dieses tiefe Grummeln unter uns.« Tatsächlich grollt es unter unseren Füßen hohl und dumpf wie bei einem Gewitter, da, wo das Meer die Felsen unterspült hat. Auf der Wiese tun sich immer wieder Löcher auf, die den Blick auf das tief unten brodelnde Meer freigeben. Bei Flut schäumt hier bestimmt die Gischt herauf. Das muss faszinierend aussehen und vielleicht auch bedrohlich.
So ein schöner Weg! Aber heute bin ich nicht so gut drauf. Ich habe meine Tage bekommen, aber das meiste meines Intimvorrates hergegeben und noch nicht für Ersatz gesorgt. Außerdem tun mir der Rücken, der Bauch und die Leisten weh, besonders, wenn es bergab geht. Die ständigen körperlichen Beschwerden nerven, und ich habe Mühe, diese Grenze anzunehmen.
Ich dränge auf eine Pause. Auf einem Aussichtspunkt hoch über den Klippen werfen wir unsere Rucksäcke ab und strecken uns für ein halbes Stündchen im Gras aus. Wir wollen gerade unsere Rast beenden, da taucht Christian auf. Ein paar Minuten reden wir. Dann überlassen wir ihm unseren Platz, auf dem er sich genüsslich niederlässt, während wir weitermarschieren.
Zu allem Überfluss sackt jetzt auch noch mein Kreislauf in den Keller. Meine Beine sind wackelig, und mir wird schwarz vor den Augen. »Trinken«, ermahnt mich Pit. Aber das nützt jetzt auch nichts mehr. Zum Glück ist es bis Andrin nicht mehr weit. Im Ort holt Christian uns ein, und zusammen suchen wir uns ein gemütliches Gartenlokal und bestellen Salat und tortilla con tuna — Rührei mit Thunfisch. Die Cola vorneweg und der Kaffee hinterher helfen meinen Lebensgeistern wieder auf die Sprünge. Bei der Kellnerin versuchen wir, nach Zigarillos zu fragen. Gar nicht so einfach, sondern ziemlich witzig. Im Wörterbuch wird Zigarillo nämlich mit Señorita übersetzt. Wir wenden das neu gelernte Wort natürlich sofort an und ernten eine Menge Gelächter von der fröhlichen Kellnerin. Offensichtlich hat sie ihren Spaß an unseren Spanischkenntnissen. Sie kommt immer wieder an unseren Tisch, um uns zum Reden zu animieren, worauf wir uns gerne einlassen. Sehr lustig! Zu guter Letzt bekommen Pit und ich aber unsere Zigarillos und beschließen das Mittagessen mit genüsslichem Geschmauche.
Den Rest unserer heutigen Etappe geht es über einen schönen Höhenweg mit Blick aufs Meer. Es ist brütend heiß bei hoher Luftfeuchtigkeit. In den Bergen
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