Und was, wenn ich mitkomme?
uns mit Hilfe des Wörterbuches. Das ist mühsam, aber auch lustig.
Eva hat die heutige 19 km-Etappe gut geschafft. Es ist schön mit ihr, und ich bin dankbar, dass wir gemeinsam auf dem Weg sind. Wir haben heute die 420 km-Marke überschritten — damit haben wir die Hälfte des Weges bis nach Santiago de Compostela bewältigt!
Aus Evas Tagebuch:
Heute Morgen bin ich sehr unmotiviert und komme nur schwer aus dem Bett. Pit und ich brechen erst Viertel nach neun auf und vertrödeln noch eine Menge Zeit beim Frühstück. Erst gegen halb elf lassen wir Ribadesella hinter uns.
Irgendwie habe ich keine Lust mehr, und ich wundere mich, dass dieses Gefühl erst nach drei Wanderwochen eintritt. Pit meint, das liegt daran, dass die Begeisterungsmomente seltener werden, weil wir uns allmählich an diese herrliche und atemberaubend schöne Landschaft gewöhnen. Ich denke aber, es liegt auch am gestrigen, wirklich harten Tag. Deshalb nehmen wir uns vor, die nächste, nur sechs Kilometer entfernt liegende albergue in San Esteban anzusteuern. Aber dann ist der Weg doch zu schön und der Tag noch zu jung. Also marschieren wir weiter bis nach Vega, zur café con lech e-Pause. Wir sitzen vor der Bar in der Sonne, haben unsere Wanderstiefel ausgezogen und die Füße auf Stühle gelegt und bestaunen das Meer, das direkt vor uns liegt. Unser Weg führt weiter am Strand vorbei. Es wundert uns gar nicht, Christian dort im Sand sitzen zu sehen. Wir winken ihm bloß zu — schließlich haben wir unsere Pause ja eben erst gehabt — und lassen den Strand rechts liegen. Links geht es über weiche, erdige Wiesenpfade bergauf. Viehweiden sind durch Gatter voneinander getrennt. Über manche müssen wir hinüberklettern. Und da wir wissen, dass Christian genau wie wir diesen Weg einschlagen wird, klemmen wir für ihn einen Müsliriegel zwischen ein Weidetor, als kleine Wegzehrung und Motivationsschub! Oberhalb der Steilküste holt Christian uns ein, und zusammen ziehen wir weiter.
Wir haben heute viel Spaß miteinander und nutzen jede Gelegenheit, um herumzublödeln. Am witzigsten ist, wie wir uns in einem kleinen Ort unser eigenes dejá-vu bauen: Einen kleinen Matschpfad herunter, eine Straße wieder hinauf, bis Pit plötzlich stutzig wird: Hatten wir eben nicht gerade dasselbe rot angestrichene Hotel vor uns? Hatten wir... Also auf zur zweiten Runde. Wir versuchen sogar, unser Gespräch zu rekapitulieren, und amüsieren uns prächtig dabei.
Auf einer Wiese oberhalb des Strandes Las Tejas machen wir eine ausgedehnte Halbzeitpause mit einem Nickerchen auf unseren ausgebreiteten Regencapes. Danach sind Pit und ich ziemlich aufgekratzt und kichern über alles und jeden und ziehen uns gegenseitig auf. Christian kann nur mit dem Kopf schütteln: So zwei alberne alte Knochen...
Der Weg zieht sich jetzt über Wiesen oberhalb der Küste entlang. Immer wieder blicken wir auf herrliche Badebuchten herunter. Am liebsten würde ich irgendwo hinunterklettern und in den Fluten herumplanschen. Aber es ist zu steil, und die Jungs machen bestimmt nicht mit. Die wollen weiter, und außerdem ist es viel zu kühl zum Baden. Weit und breit keine Sonne in Sicht. Der Himmel ist bewölkt, und die Berge links neben uns verstecken sich hinter einer dichten Nebelwand. Aber am Horizont über dem Meer wabert ein blauer Streifen, der dem Meer eine spannende Färbung von stahlgrau bis tiefblau und — da, wo das Wasser flach und der Untergrund sandig ist — türkisgrün gibt. Wunderschön! Ich bin begeistert und wieder ganz obenauf.
In La Isla checken wir in einer schnuckeligen Herberge ein. Sie ist in einem geduckten Häuschen untergebracht. Es gibt einen riesigen Schlafsaal mit neun Stockbetten, einen Vorraum mit einer provisorischen Küche, ein paar zusammengewürfelte Tische und Stühle, einen Heizofen und einen Wäscheständer, saubere Duschen und Toiletten für Männer und Frauen getrennt — nur leider kein Klopapier. Macht aber nichts, denn eine Rolle trägt jeder von uns in seinem Rucksack mit sich. Schließlich gibt es in Wald und Wiese und Gebüsch auch kein Papier, und da ist es gut, selbst versorgt zu sein. In der albergue haben sich schon zwei Schiveden häuslich niedergelassen. Sie liegen ausgestreckt auf ihren Betten, lesen und hören Musik aus winzigen Ohrstöpseln. Auch unsere Hamburgerin ist wieder da. Aber die hat sich in ihren Schlafsack verkrochen, Gesicht zur Wand, und ist ganz offensichtlich für den Rest der Menschheit nicht zu sprechen.
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