Und was, wenn ich mitkomme?
einsam so allein hier draußen.
Das Urlaubsfeeling ist eindeutig vorüber. Aber vielleicht ist das die richtige Voraussetzung dafür, dass unsere verzwickten Beziehungsmuster endlich sichtbar werden, jetzt, wo die Dinge nicht mehr so gut laufen. Vielleicht sind solche Tage wie heute genau dafür da.
27. TAG SOTO DE LUIÑA — CADAVEDO
Schweigend brechen wir gegen Viertel nach acht auf. Es regnet nicht, stattdessen hängen wie Frau Holles Betten dichte Nebelschwaden in den Bergen. »Diese Etappe ist ausgesprochen anstrengend — der Weg steigt bis fast 700 Meter an — und die Wegmarkierungen sind oft derart von Vegetation überwuchert, dass sie kaum zu erkennen sind«, steht in unserem Wanderführer. Keine schönen Aussichten. Aber zum Glück lesen wir bloß ein paar Zeilen weiter: »Die Jakobsgesellschaft empfiehlt, den Weg auf der alten, kaum befahrenen Nationalstraße zurückzulegen... Bei Nebel sollten Sie unbedingt auf die Nationalstraße ausweichen.« Nach dem gestrigen Tag haben wir keine Lust auf weitere Experimente und entscheiden uns, der freundlichen Empfehlung nachzukommen. 24 Kilometer liegen vor uns und ich weiß nicht, wie ich die überstehen soll. Heute ist es nicht der Weg, der mich bedrückt.
Es geht mühelos immer geradeaus, wobei von geradeaus kaum die Rede sein kann, denn die Straße ist sehr kurvenreich. Immer wieder laufen wir unter der neuen Autobahn A 8 hindurch, die sich wuchtig über das Tal spannt. Die alten Eisenbahnbrücken wirken dagegen wie aus Streichhölzern zusammengeklebt. Mürrisch und in düstere Gedanken verstrickt, stapfe ich mindestens 20 Meter vor Pit her durch einen dichten Wald, der sich so eng an die Straße drängt, dass er fast den Asphalt erobert. Mannshohe Farne wuchern wild im Gestrüpp, und Efeu schlingt sich bis in die Kronen der Bäume und fällt in grünen, feuchten Kaskaden wieder herunter. Die Bäume rücken nur auseinander, um Platz zu schaffen für winzige, lang gestreckte Ortschaften, in denen es still ist wie auf einem Friedhof. Hortensienhecken schmiegen sich an die Mauern. Und überall duften üppig Rosen.
Pit und ich frühstücken im Gehen ein paar Kekse. Unseren ersten Kaffee bekommen wir in einem Tankstellen-Restaurant in Novellana. Hier kann ich meine 20-Meter-Distanz nicht mehr aufrechterhalten, und als wir schließlich weiterwandern, beschließe ich, auch meine innere Distanz aufzugeben und beginne das Gespräch. Endlich werde ich meinen Frust, meine Befürchtungen und Erkenntnisse der letzten Nacht los. Pit hört still zu, und anders als zu Hause weicht er nicht aus, sondern spürt seinen eigenen Reaktionen nach.
»Ich weiß auch nicht, warum ich mir so schlecht helfen lassen kann«, gibt er zu, »vielleicht habe ich einfach nur Angst, nicht zu genügen...«
»Ich will aber nicht, dass du deine Ängste auf meine Kosten versteckst, sondern zu deinen Schwächen stehst, so wie ich das auch versuche. Ich wünsche mir sehr, dass wir beide uns klarmachen, warum wir wie handeln und dass wir Verantwortung dafür übernehmen.«
»Mach ich doch«, sagt Pit.
»Aber nicht, wenn du so tust, als wäre alles paletti bei dir und ich bin diejenige, die es nicht auf die Reihe kriegt. So was könnte man Verantwortungsverschiebung nennen. Und darauf hab ich keine Lust«, maule ich.
Wir reden lange, sehr zugewandt und ausführlich über dieses Thema. Kein Termin, kein Telefon, kein Mensch unterbricht uns, und wir können kilometerlang unsere Gedanken zu Ende spinnen und aussprechen, was uns auf der Seele brennt, bis wirklich alles heraus ist. Wir stellen fest, wie schwer es ist, unbewusste Motive aufzudecken und sie sich in aller Wahrheit einzugestehen. Noch schwerer ist es, sie auch dem anderen gegenüber zuzugeben, und am allerschwersten, sich nicht zu verteidigen, den anderen nicht infrage zu stellen oder ihn anzugreifen, um die eigene Position zu festigen, oder nicht auszuweichen, indem man alles Erkannte wieder hübsch im Keller der eigenen Seele einlagert. Wie hilfreich wäre es, wenn wir lernen würden, konstruktiv und eigenverantwortlich mit unseren Macken umzugehen!
»Verändert euch durch Erneuerung eures Denkens«, schreibt Paulus im 12. Kapitel des Römerbriefes. Dazu muss man sich aber erst mal Rechenschaft über das ablegen, was man im Innersten wirklich denkt — über sich, über die Situation und über andere. Und dann nicht ängstlich um die Veränderungsmöglichkeiten herumschleichen, sondern mutig auf sie zugehen, ja, sie vielleicht sogar
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