Und was, wenn ich mitkomme?
Kilometer am Stück. Eine Pause ist nicht drin, weil wir keine geöffnete Bar finden und weil es weit und breit keinen Unterstand gibt und eine Rast bei Regen einfach nur ungemütlich ist. Der Weg ist ab Pidras Bianca recht malerisch und teilweise sehr abenteuerlich. Hinter einem Kieswerk geht es bergab in einen Wald mit dichtem Unterholz. Der Regen hat die Wege aufgeweicht. Da, wo sie nicht zu Sturzbächen angeschwollen sind, stehen Pfützen so groß wie Gartenteiche. Wir müssen uns durchs Gebüsch schlagen und zerkratzen uns dabei Arme und Beine. Trotzdem entschließen wir uns, es hier einfach schön zu finden, denn was kann der Weg dafür, dass das Wetter so miserabel ist und ihn von oben und unten nass und schlammig und zum Teil unpassierbar macht? Bei Sonnenschein würden wir die Gegend hier herrlich finden. Bei Regen ist das Ganze zumindest ein besonderes Erlebnis, von dem man erzählen kann, wenn man wieder gemütlich zu Hause auf seinem Sofa sitzt. Aber von einem Sofa sind wir heute weit entfernt.
Als es richtig zu schütten beginnt, erreichen wir Soto del Barco. Das im Wanderführer ausgeschriebene Hotel ist leider geschlossen, aus was für Gründen auch immer. Aber wenigstens gibt es ein geöffnetes Restaurant. Nacheinander verschwinden wir mit trockenen Klamotten auf die Toilette und ziehen uns dort erst mal um. Die nassen Sachen werden wie immer mit Sicherheitsnadeln an den Rucksack geheftet. Ob die heute noch trocken werden? Vor den Fenstern rinnt der Regen unaufhörlich. Wir aber kümmern uns nicht darum, sondern bestellen ein fürstliches Mittagessen und zum Nachtisch Kuchen und Kaffee. Wir ziehen unsere Pause ordentlich in die Länge. Aber so lange wir auch warten, der Regen denkt gar nicht daran, endlich aufzuhören.
In Gijon habe ich mir vorgenommen, jeden Meter des Camino nur noch zu laufen. Aber jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als in den nächsten Zug zu steigen. Hierbleiben können wir nicht. Und Laufen ist bei dem Wetter Wahnsinn. Unsere Sachen sind nass genug und auf mehr haben wir keine Lust. Schließlich gibt es auf diesem Weg weit und breit keinen gut gefüllten Kleiderschrank, aus dem man sich mit trockener und warmer Wäsche bedienen kann. Es ist wichtig, immer auch noch etwas zum Wechseln im Rucksack zu haben. Als doppelter und ganz und gar sicherer Nässeschutz hält nicht nur unser Regencape her. Wir haben alle unsere Kleidungsstücke zusätzlich noch in Plastiktüten verstaut. Das hilft, die Übersicht im Rucksack zu behalten. In erster Linie hält es aber die Feuchtigkeit zurück und unsere Sachen trocken. Aber trotz Regencape und sonstigem Plastikschutz bleiben wir dabei: Heute haben wir genug vom Regen. Also lassen wir uns den Weg zum Bahnhof beschreiben und zockeln mit Sack und Pack los.
Zum Bahnsteig geht es eine Betonpiste hinunter. Auf dem abschüssigen und rutschigen Belag gleitet Pit aus und findet sich auf dem Boden wieder. Er liegt dort wie ein Käfer auf dem Rücken und kommt nicht wieder hoch, denn sein Arm ist unter dem Rucksack eingeklemmt und das Gewicht seines Gepäcks drückt ihn nach unten. Mit meiner Hilfe kommt er schließlich wieder auf die Beine. Die Haut an den Schienbeinen ist etwas abgeschürft, aber sonst ist Gott sei Dank alles in Ordnung. Was wäre, wenn er sich ernsthaft verletzt hätte? Bestimmt hätten wir auch dann eine Lösung gefunden. Aber natürlich sind wir sehr erleichtert, dass alles gutgegangen ist. Auf einmal erscheint es uns wie ein Wunder, dass uns bis jetzt nichts Schlimmes passiert ist. Und wir hoffen, dass es so bleibt.
Der Zug kommt pünktlich. Mit uns steigt noch ein älteres spanisches Ehepaar ein. Wir fahren elf Kilometer durch regentriefende, üppige Landschaft bis Cudillero. In unserem Wanderführer steht, dass Cudillero einer der hübschesten Hafenorte Asturiens ist. Ich habe den Satz unterstrichen und »stimmt« darüber geschrieben. Denn was wir vorfinden, ist wirklich sehenswert: Zwischen Bergen eingezwängt liegt der Hafen, während sich bunt bemalte Häuschen die Hänge hinaufdrängen. Sie sind nur über enge Treppen und steile Gassen zu erreichen, und wir fragen uns, wie die Leute hier zum Beispiel einen Umzug organisieren. Allein einen Wocheneinkauf nach Hause zu bekommen, scheint ein logistisches Problem zu sein. Aber es ist sehr schön anzusehen und den Blick aus den Fenstern dieser niedlichen Puppenhäuschen hinaus aufs Meer stelle ich mir atemberaubend vor. Zum Hafen hinunter gibt es nur eine einspurige
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