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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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heraus- und einfordern. Könnte das nicht ein Weg sein, wirklich ehrlich mit sich selbst und miteinander umzugehen, den anderen vom Druck, die eigenen Schwächen ausbügeln zu müssen, zu entlasten, und ihm einmal völlig neu zu begegnen? Wer weiß, vielleicht würde auf diese Weise die Beziehung eine ganz neue Qualität bekommen? Mir ist schon klar, dass so etwas niemals ohne Schmerz abgeht, ohne Schnitt und Schliff. An anderer Stelle beschreibt Paulus sehr eindrücklich, wie wichtig die Beschneidung des Weinstockes ist, damit er reiche Frucht bringen kann. Ich nehme mir vor, diese Stelle mal in aller Ruhe in der Bibel nachzulesen. Vielleicht hat die mehr mit unserer momentanen Situation zu tun, als es auf den ersten Blick scheint.
    Die Kilometersteine am Straßenrand fliegen nur so an uns vorbei. Während wir reden, merken wir kaum, wie die Zeit vergeht, und plötzlich sind wir in Ballota, wo wir in einem Haltestellenhäuschen picknicken und uns in einer Bar unseren Mittagskaffee genehmigen. Gegen drei Uhr treffen wir in unserem Zielort Cadavedo ein. Die Herberge ist ein heruntergekommenes Häuschen mit rissigem Putz, windschiefen Fenstern und steilen, durchgetretenen Stufen, die hinauf zum Eingang fuhren. Die Tür ist fest verschlossen und an den Schlüssel zu kommen, ist nicht leicht, weil Pilger, die vor uns eingetroffen sind, ihn kurzerhand mit zum Essen genommen haben. Diese Information erhalten wir in einer nahe gelegenen Bar. Mit dem uns mittlerweile recht vertrauten Hand-Fuß-Englisch-Spanischbrocken-Kauderwelsch bekommt Pit schließlich heraus, in welches Restaurant unsere Mitbewohner den Schlüssel entführt haben. Er macht sich sofort auf den Weg, und nicht mehr lange und wir können in unsere Herberge. Die sieht von innen noch schlimmer aus als von außen. Farbe blättert von den Wänden und graugrünpelzige Schimmelflecken breiten sich in den Ecken aus. Es riecht modrig und faul und nach einer ganzen Garnison von Krankheitserregern. Aber in diesem Kaff gibt es keine Alternative. Wir müssen uns mit den Gegebenheiten abfinden.
    Die Herberge besteht aus einem Aufenthaltsraum mit einer schmuddeligen Küchenzeile, einem unsauberen Bad und zwei Zimmern mit jeweils zwei Stockbetten. In dem einen, weniger schimmelbefallenen Raum sind drei Betten belegt. Also breiten Pit und ich uns im anderen Zimmer aus, reißen das Fenster auf und kehren erst einmal das Schlimmste vom Boden auf. Mittlerweile trifft die hospitalera ein, um von uns 3 Euro für die Übernachtung zu kassieren, uns einen Stempel in unsere Pilgerausweise zu drücken und unsere Namen in das Pilgerbuch einzutragen. Und was lesen wir da? Die drei Pilger im Nachbarzimmer sind die beiden Franzosen und unsere Hamburgerin, die tatsächlich — was für ein Witz — Lieselotte heißt. Na bitte, habe ich das nicht schon immer gewusst? Ich muss wohl die Gabe der Prophetie haben... Pit und ich schauen uns an und grinsen. Was für eine Wohltat nach diesem emotional anstrengenden Tag.
    Dann aber hält uns nichts mehr in diesem unappetitlich feuchtkalten Haus.
    Wir kratzen unsere letzten Vorräte zusammen — Cracker, Wurst, Käse und Schokolade — und machen uns auf den Weg zum zweieinhalb Kilometer entfernten Meer. Der Strand ist sehr steinig, aber gemütlich von Felsen und dichter Vegetation eingerahmt. Wir kuscheln uns auf einem windgeschützten Plätzchen aneinander, essen unseren Proviant und genießen das Meer. Durch den ständigen Regen und Nebel der letzten Tage habe ich das Gefühl, das Meer verpasst zu haben. Und nun sind es nur noch wenige Tage, bis wir die Küste endgültig verlassen müssen. Ich trauere schon jetzt der Weite und dem Wasser hinterher und kann mich kaum vom Anblick der Wellen losreißen. Ein paar verstohlene Abendsonnenstrahlen vergolden uns den Augenblick. Aber dann wird es doch zu kalt, und wir müssen zurück.
    In der Herberge treffen wir auf drei weitere Mitbewohner: Doris, Uli und Petra, drei Österreicherinnen, die ihren Jahresurlaub gemeinsam verbringen, von Ribadesella aufgebrochen sind und drei Wochen Zeit haben, um Santiago zu erreichen. Alle drei machen einen aufgeschlossenen Eindruck und wir haben Lust, sie näher kennenzulernen. Petra sieht durchtrainiert aus wie eine Sportlerin. Uli wirkt mit ihrer wilden Lockenpracht sehr romantisch, und Doris hat Augen, aus denen der Schalk blitzt. Aber keine von ihnen hat einen Schlafsack dabei. Die drei verteilen sich auf die verbliebenen Betten und drapieren Handtücher, Anoraks,

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