Und was, wenn ich mitkomme?
Eichentisch und spielen. Und wer hätte das gedacht: Es wird sogar noch ein bisschen lustig!
33. TAG GONDAN — MONDOÑEDO
Aus Evas Tagebuch:
Konnte heute Morgen einfach nicht aufhören zu weinen. Habe das Gefühl, längst an meiner Grenze — ach was: weit über meine Grenze hinaus — zu sein. Das Schlimmste ist, dass ich meine, mithalten und dabei gute Laune haben zu müssen, nicht sagen zu können, wie es mir wirklich geht, weil das vielleicht nicht akzeptiert werden könnte — vielleicht nicht mal von mir selbst... Und ich habe Angst, im Stich gelassen zu werden, wenn ich nicht mithalten kann.
Pit sagt, dass es ihm schlecht geht, wenn es mir schlecht geht, und er, damit es ihm wieder besser gehen kann, alles versucht, um meine Stimmung zu heben. Was dabei herauskommt sind seine ewigen Vertröstungen. Doch bei mir kommt an: »Alles halb so schlimm«, was in meinen Ohren genauso klingt, als hätten meine Befindlichkeiten keine Berechtigung und wären falsch. Dabei will ich bloß ein bisschen Verständnis. Empathie heißt doch nicht, dass es dem anderen genauso gehen muss wie mir. Ob wir es noch jemals schaffen, einander stehen zu lassen und den anderen in seinem Fühlen und Denken ernst zu nehmen?
Bis wir endlich unsere Rucksäcke schultern und der Herberge den Rücken kehren, ist Moni schon über alle Berge. Den ersten Kilometer laufen wir auf Asphalt. Irgendwie kommt uns die Straße bekannt vor. Sind wir die nicht schon gestern gelaufen, auf der Suche nach einem ordentlichen Abendessen? Und welche Ironie: Direkt hinter der Kurve, vor der wir gestern Nachmittag resigniert aufgegeben haben, stoßen wir auf eine winzige Dorfkneipe, in der man auch Kurzwaren und einige Lebensmittel kaufen kann. Diesmal kehren wir ein, stärken uns mit café con leche, füllen unsere Wassersäcke auf und decken uns mit Keksen ein.
Der Weg führt heute durch helle Wälder, überall Vogelgezwitscher, weiche Pfade, ein bisschen Sonne. Bei so viel Erhabenheit und Frieden ist es leicht nachzuvollziehen, dass Menschen in der Natur ihre spirituellen Antworten suchen. Aber bei den ersten Regentropfen wird mir klar, dass die Natur niemals Gott sein kann. Denn der Natur ist der Einzelne egal. Die Natur ernährt mich und hilft mir zum Leben. Aber sie tut das mit derselben Gleichgültigkeit, mit der sie mich gnadenlos durchnässt und frieren lässt. Sie ist erbarmungslos und bei ihr zählt nichts und niemand außer sie selbst. So aber ist der Gott der Bibel nicht. Ich glaube, dass ich Ihm unendlich wichtig bin. Und dieser Glaube hüllt mich ein wie mein zwar triefnasser, aber schützender Bibabutzemann.
Dabei bin ich mir auf diesem Weg schon so oft hilflos, klein und ausgeliefert vorgekommen. Und ich merke, dass dieses Gefühl immer dann eintritt, wenn ich mich Notwendigkeiten beugen muss. Dabei würde ich das, was ich mache, am liebsten machen, weil ich es will, weil ich selbst es so entschieden habe. Wenn ich mit dem Bus fahre, weil ich nicht mehr kann, dann fühle ich mich schwach. Aber wie wäre es, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, früh genug Grenzen zu erkennen und aktiv eine Entscheidung zu fällen — den Bus zu nehmen, bevor meine Schwäche mich dazu zwingt? Das Ergebnis wäre dasselbe, aber der innere Weg dorthin wäre nicht mehr nur eine Reaktion auf eine ausweglose Situation, sondern eine selbstbestimmte und freiwillige Aktion.
Kilometer um Kilometer wandern Pit und ich schweigend nebeneinander her. Und in der Stille ist es plötzlich, als ob sich in meinen Gedanken ein Schalter umlegt. Ich habe den Camino begonnen mit der Fragestellung: Was brauche ich zum Leben? Ich habe meinen Besitz auf ein Minimum reduziert und dabei nichts entbehrt. Ich kann aus dem schöpfen, was mir jeweils zur Verfügung steht — und es reicht aus. Zum Überleben genügt so lächerlich wenig, dass die Frage nach dem »wie viel« sich in unserer Überflussgesellschaft eigentlich erübrigt. Es geht also längst nicht mehr darum, was ich haben oder tun muss, um zu überleben, sondern um die Frage: Was tut mir gut und verhilft mir zur Lebensfreude? Eine logische Antwort wäre, eigene aktive Entscheidungen zu treffen. Aber dazu wiederum muss ich wissen, was ich will und was mir guttut. Ich glaube, dass ich das noch gar nicht richtig weiß.
Eine Stereoanlage braucht man nicht wirklich — das erleben wir hier, wo wir ganz gut ohne auskommen. Ich kann auch zu Hause auf sie verzichten. Aber Pit tut sie gut. Es ist ihm ein Genuss und eine
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