Und was, wenn ich mitkomme?
mich selbst und überhaupt auf die ganze Welt. Pits ewiger Optimismus, seine Versprechungen, die meistens unerfüllt bleiben, weil er genauso wenig weiß wie ich, was auf uns zukommt, und diese ganze blöde Gute-Stimmungs-Mache hängen mir längst zum Hals heraus. Warum kann er nicht endlich mal ehrlich sein und zugeben, wie es wirklich ist, nämlich einfach nur schlimm? Wahrscheinlich, weil er so nicht über Alternativen nachdenken oder Konsequenzen ziehen muss, und er braucht sich auch nicht sein Ausgeliefertsein und die eigene Hilflosigkeit einzugestehen. Wie einfach, es laufen zu lassen und so zu tun, als wäre alles bestens...
Ich bin so stinkig, dass ich am liebsten schreien oder irgendetwas zertrümmern, mich auf die Straße schmeißen und nie wieder aufstehen würde. Ich könnte gerade auf meine Ehe pfeifen und auf mein ganzes anstrengendes Leben, in dem ich ständig Sachen tun muss, auf die ich keine Lust habe, die mir nicht entsprechen, die mich quälen und mir den letzten Rest Lebensfreude rauben. Ist es nicht genau das, vor dem ich zu fliehen versucht habe? Und nun holt mich alles in dieser gottverlassenen Gegend ein, so, als wäre ich niemals aufgebrochen, so, als wäre jeder Versuch umsonst, so, als würde es niemals gut werden. Zum Kuckuck noch mal, ich wollte nichts als eine warme Dusche. Stattdessen marschiere ich durch Regen, bloß weil Pit Hunger hat. Was geht mich sein Hunger an? Meiner ist mir längst egal. Ich will nur noch in meinen Schlafsack. Der Frieden der letzten Tage war wohl bloß die Ruhe vor dem Sturm, eine dünne Decke über der aufgestauten Frustration. Wenn ich einen Roman über unsere Jakobsweg-Erfahrungen schreiben würde, wäre genau das jetzt die Stelle des Konflikthöhepunktes. So jedenfalls fühlt sich der Tag an: einfach nur niederschmetternd. Unsere Stimmung ist auf mindestens 1000 Minuspunkte gesunken, und ein Hoffnungsschimmer ist weit und breit nicht in Sicht. Warum machen wir das hier bloß?
Als sich hinter der nächsten Kurve auch nichts anderes als Wald auftut, kehren wir um. Über zwei Stunden sind wir für nichts und wieder nichts unterwegs gewesen. Als wir die Herberge erreichen, beschließt der Himmel, endlich seine Schleusen zu schließen. Moni finden wir in ihrem Schlafsack wieder, der Landstreicher ist verschwunden, Gott sei Dank ohne unsere Sachen, die wir so vorfinden, wie wir sie zurückgelassen haben. Mir geht es erst nach einer heißen Dusche besser.
Wie immer ist Wäschewaschen angesagt, aber meine Seife ist alle. Ich habe wegen des Gewichts bloß ein Probierfläschchen eingepackt, das ich an jedem Seifenspender, den ich finden konnte, aufgefüllt habe. Aber hier gibt es so etwas nicht, und mein Miniseifenbehältnis ist bis auf den letzten schmierigen Tropfen leer. Und was nun? »Guck mal da«, murmelt Moni, schiebt eine Hand aus ihrem Schlafkokon und deutet auf den einzigen Stuhl im Schlafsaal. Darauf liegt eine zusammengeknüllte Plastiktüte und — ich kann es kaum glauben — darin steckt ein schönes großes Stück Kernseife. Wir teilen schwesterlich unseren Schatz, Vorrat für schlechte Zeiten. Ein warmes Essen haben wir heute nicht bekommen, aber immerhin Seife...
Pit und ich essen unsere mageren Vorräte, sitzen draußen auf Steinbänken unter jahrzehntealten Obstbäumen, maniküren unsere Nägel und lassen uns von der Landschaft und der milden Abendstimmung einhüllen. Schön ist es hier. Sanft runden sich grüne Hügel, deren Kuppen mit dem Blau des Himmels verschwimmen. Die Vögel singen ihr Abendlied, die Blätter der Bäume über uns wispern, sonst kein Laut ringsum. Ich wundere mich, dass ich nach diesem Tag noch Augen und Ohren dafür habe. Aber die Ruhe ist überwältigend und voller Frieden. Habe ich vorhin noch gedacht, diese Gegend sei gottverlassen? Habe ich mich tatsächlich und ernsthaft gefragt, warum ich mich auf diese Strapazen eingelassen habe? Vielleicht, um diese Erfahrung zu machen: dass Vertrauen sich lohnt, dass der Friede nicht darin liegt, dem Schmerz auszuweichen, sondern ihn zu überwinden. Vielleicht, um ein »dennoch« zu finden und einen Blick, der über die eigene Frustration hinausreicht... Was für eine harte, aber effektive Schule.
Allmählich wird es zu kühl, um noch länger draußen zu sitzen. Leider ist der Aufenthaltsraum der Herberge auch nicht viel wärmer. Trotzdem locke ich Moni aus ihrem Bett und überrede sie und Pit zu einer kleinen Würfelrunde. Eingemummelt in unsere Schlafsäcke sitzen wir am
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