Und was, wenn ich mitkomme?
brauchen. Also packt er kurzerhand unsere Rucksäcke in seinen Kofferraum und schiebt uns unter lautstarken Kommentaren auf die Rückbank seines Wagens. Dann geht es los, wir wissen nicht wohin. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu vertrauen. Und wir werden nicht enttäuscht. Der Alte brettert in atemberaubendem Tempo kreuz und quer auf holprigen Wegen zwischen Eukalyptusbäumen hindurch, bis wir vollends die Orientierung verloren haben. Wenn der uns jetzt rauswirft, sind wir verraten und verkauft, denken wir. Doch unser redseliger Chauffeur hält genau vor einem Monolithen mit gelbem Jakobspfeil und blauer Wegweiserkachel. Alles ist gut. Schulterklopfen und »Buen Camino«, und dann ist unser Retter so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht ist.
Es stellt sich heraus, dass er uns einmal um den Berg gefahren hat, was uns eine mühselige Steigung erspart hat. Für den Moment sind wir ganz euphorisch, zumal der Ausblick von hier oben mal wieder phänomenal ist: Kleine Gehöfte, die sich in die Täler schmiegen wie Katzen in ein weiches grünes Kissen, schmale Pfade, die sich wie Geschenkband zwischen den Wiesen schlängeln, das Silber der Eukalyptusblätter, in denen sich verstohlen seltene Sonnenstrahlen verfangen. Es könnte endlich alles gut sein, wenn es nicht schon wieder anfangen würde zu regnen.
»Himmel noch mal, kann das jetzt nicht endlich mal aufhören?«, stöhnt Pit. Aber diesmal hört der Himmel nicht. Offensichtlich hat Pit sein Kontingent an Wünschen für heute erschöpft, und auf mich scheint hier sowieso keiner zu hören. Allmählich könnten wir eine Pause gebrauchen, aber nirgendwo gibt es ein trockenes Plätzchen, alles trieft vor Nässe. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, weiterlaufen bis zur Herberge. Ob wir noch jemals richtig trocken werden? Jetzt sind sogar die Schuhe durch. Mist!
Einen kleinen Lichtblick gibt es dann aber doch: Am rustikalen Eichentisch im Aufenthaltsraum der Herberge sitzt eine stämmige Frau mit kurzen dunklen Haaren und blauer Fleecejacke und schreibt konzentriert in eine Kladde. Es ist Monika, die uns so erfreut begrüßt, als hätte sie auf uns gewartet, ein Empfang, der richtig guttut.
Moni hat sich schon eingerichtet. Das würde ich am liebsten auch gleich tun. Besonders sehne ich mich nach einer schönen warmen Dusche. Aber Pit hat Hunger und will sofort irgendwo essen gehen. Natürlich habe ich vollstes Verständnis. Allerdings gibt es in diesem Nest weder eine Einkaufsmöglichkeit noch ein Restaurant. Unsere hospitalera verweist auf eine Bar, die etwa einen Kilometer entfernt liegen soll. Das schaffen wir wohl gerade noch.
Also lassen wir unsere Rucksäcke in der Herberge zurück, so wie wir es immer tun. Doch heute trennen wir uns nur ungern von unserem Gepäck, denn in der Herberge lungert ein ziemlich abgerissener Mann herum, der ganz und gar nicht wie ein Pilger, sondern wie ein Landstreicher aussieht. Pit hat große Sorge, dass er sich seinen Schlafsack und wer weiß was noch unter den Nagel reißt und klammheimlich damit verschwindet. Aber Bedenken füllen keinen leeren Magen, und wir sind einfach zu kaputt, um uns wieder unsere ganze Ausrüstung auf den Rücken zu laden. Also üben wir uns noch einmal in Vertrauen und stiefeln los, hungrig, verunsichert, nass von Schweiß und Regen.
Monika schließt sich uns an, und zu dritt marschieren wir bis zum nächsten Ort. Gelegentlich lassen sich ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen blicken. Aber besonders ermuntern können sie uns nicht, denn auch in diesem Ort finden wir weder einen Laden noch eine Bar. Alles tote Hose und niemand da, den man fragen könnte. Dabei sind wir mindestens schon eine Dreiviertelstunde unterwegs und mit Sicherheit weiter als einen Kilometer gelaufen! Ernüchtert kehren wir um, versuchen einen anderen Weg und geraten mal wieder — wie könnte es anders sein — in einen heftigen Regenguss. Monika hat die Nase voll und kehrt um. Aber Pit und ich starten verbissen und stur einen dritten Versuch. Wir wollen uns diese Niederlage einfach nicht eingestehen. Außerdem geben unsere Vorräte bloß noch eine Dose gesalzener Nüsse, ein Stück trockenen Käse und zwei Apfel her. Nichts, was den Magen befriedigt, zumal er den ganzen Tag noch nichts Anständiges bekommen hat.
Wir laufen und laufen und laufen, weit und breit weder eine Ortschaft noch ein Haus und schon gar kein Restaurant. Ich bin wütend auf das Wetter, auf diesen Weg, auf Pit und seinen Hunger, auf
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