Und was, wenn ich mitkomme?
keine Lust haben, mit unserem Gepäck durch die Straßen von La Coruña zu schlendern, richten wir uns in einer kleinen Grünanlage vor dem Bahnhof auf einer Bank unter einem Trompetenbaum ein, tanken ordentlich Sonne, beobachten die Leute — vornehmlich alte Männer, die laut und überschwänglich miteinander palavern — und spielen unser stupides Würfelspiel 10 000. Gegen ein Uhr finden wir bei einem Italiener gleich um die Ecke menu del dia für nur 6,30 Euro. Wir schlagen zu, denn wer weiß, ob und wann es wieder etwas gibt!
Und dann endlich startet unser Zug. Es ist die berühmte FEVE-Linie, die Ferrocarriles Españoles de Via Estrecha, was übersetzt so viel heißt wie: spanische Schmalspurbahn. Und schmalbrüstig sind die Waggons tatsächlich. Es gibt nur zwei Sitzplätze auf der einen und einen auf der anderen Seite, dazwischen einen engen Gang. Vor unserer Reise habe ich in einem Merian-Heft gelesen, dass dieser Zug eine Strecke von über 1200 Kilometern an der Atlantikküste zurücklegt und dabei allein von Ferrol bis Bilbao 176 Stationen anfährt, was bedeutet, dass er alle sechseinhalb Kilometer hält, um Fahrgäste ein- oder aussteigen zu lassen. Das Ganze ist nicht teurer als 33 Euro pro Person. Entsprechend günstig fällt denn auch der Fahrpreis für unsere vergleichsweise kurze Strecke bis nach Ferrol aus.
In Meeresnähe durchqueren wir eine dicht besiedelte und wild bewaldete Gegend. Nach einer Stunde erreichen wir unser Ziel. Während der Zug ohne uns weiterrumpelt, denke ich laut: »Ab Ribadeo fährt die FEVE-Bahn genau die Strecke, die wir zu Fuß zurückgelegt haben. Wir haben so lange dafür gebraucht, aber der Zug schafft den Weg in nur knapp drei Tagen...«
»Ich würde trotzdem wieder laufen«, entgegnet Pit.
»Ich auch«, stimme ich zu.
Um nichts auf der Welt wollen wir die Erfahrungen der letzten Wochen, weder die schönen noch die schlimmen, missen. Auch wenn ich immer noch nicht sagen kann, ob sie mich letztendlich dahin gebracht haben, wo ich hinwollte. Auf jeden Fall haben sie mich verändert. Und deshalb wird nie wieder etwas so sein, wie es einmal gewesen ist. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ich weiß aber, dass mein Leben von nun an anders werden wird. Und anders ist in jedem Fall besser als das, was einmal war. So, wie es einmal war, will ich es nicht mehr haben. Doch jetzt ist etwas entstanden, etwas, das ich neu gestalten und füllen kann. Und vielleicht tun Pit und ich das sogar gemeinsam.
Wie zur Bestätigung nimmt Pit meine Hand. Und Seite an Seite marschieren wir durch die Altstadt bis zum Hafen, wo in einem kioskgroßen Häuschen die Touristeninformation untergebracht ist. Aber das Häuschen ist — wie könnte es anders sein — mal wieder geschlossen bis um fünf. Wir setzen uns auf eine Bank, bestaunen die beeindruckend riesigen Pötte im Frachthafen und warten. Aber schließlich geht auch diese Zeit vorüber, und wir bekommen einen Stadtplan und einen neuen Pilgerausweis, der aber nicht mehr als ein fotokopiertes Blatt Papier ist, mit Feldern für die Herbergsstempel. Naja, es wird schon gehen.
Auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit entdecken wir an einer Hauswand die Jakobsmuschel, Zeichen für den Beginn des Camino Inglés. Wir sehen uns an und grinsen. »Jetzt kann uns nichts mehr passieren«, feixt Pit. Wir haben in den letzten Wochen so viel durchgemacht. Trotzdem würden wir alles noch einmal in Kauf nehmen, um miteinander unterwegs zu sein. Wir freuen uns wie irre, wieder losziehen zu können, egal, was auf uns zukommt. Sind wir bis hierher gekommen, dann kommen wir auch noch weiter. Wir sind voller Zuversicht und Tatendrang.
Das hostal, das wir finden, ist für seine schlichte Ausstattung viel zu teuer. Wir bleiben trotzdem, weil es in der Innenstadt liegt, sodass wir nicht weit laufen müssen, wenn wir am Abend noch bummeln und ein Gläschen Wein trinken wollen. Was wir bis jetzt von Ferrol gesehen haben, gefällt uns gut: an den Häuserfronten ziehen sich wieder überall verglaste Balkone hinauf, zum Teil sehr schön restauriert. Es gibt hübsche kleine Boutiquen, an denen wir uns nicht sattsehen können — wir hätten beide große Lust auf ein paar schicke Klamotten, besonders auf Schuhe, aber wir geben dem Impuls natürlich nicht nach. Das alles wäre nur unnötiger Ballast.
Die Altstadtstraßen laufen parallel nebeneinander her wie der Blasebalg eines zusammengepressten Akkordeons. Wir spazieren im Zickzack jede Gasse
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