Und was wirst du, wenn ich gross bin
dunkel geworden und damit auch immer schwieriger, überhaupt mögliche Stellen zu entdecken. Außerdem galt es zunehmend, Tunnel zu durchqueren, und bei Dunkelheit mit dem schlechtbeleuchteten Fahrrad Lastwägen im Tunnel den Platz streitig zu machen ist sehr anstrengend.
Um elf Uhr abends, erschöpft, entnervt und völlig leer, haben wir uns am Rande eines Lkw-Parkplatzes, der größtenteils aus staubiger Erde, gröberen Steinen und sporadischem Kies bestand, niedergelassen. Geschlafen haben wir nur aus Erschöpfung, denn der Parkplatz lag am Ausgang eines Tunnels, was sehr gut ist für die Akustik.
Wir erwachten sehr früh und vielleicht noch ein bisschen erschöpfter, als wir eingeschlafen waren. Zu unserem Erstaunen und Entsetzen waren unsere Essenstüten, in denen ein wenig Schinken, Käse und Brot für das Frühstück war, eindeutig angefressen. Das Entsetzen kam übrigens vor allem daher, dass wir unsere Essenstüten auch als Kopfkissen benutzt hatten.
Bei der Suche nach einem ungestörten Ort für die Morgentoilette - in diesem Fall ist damit eigentlich nur Toilette gemeint - stellten wir dann fest, dass sich neben unserem Schlaflager eine kleine Schlucht mit Tunnel unter der Straße durch zum See hin befand, die von Lkw-Fahrern, aber vielleicht auch von Einheimischen als private Mülldeponie genutzt wurde. Nicht zu unserer, aber sehr zur Freude der Ratten, die sich fröhlich zeigten und ganz ohne Scheu im Müll spielten, als wollten sie sagen:
»Wir hätten eure Essenstüten gar nicht gebraucht, aber nachdem sie schon mal da rumlagen, wollten wir nicht unhöflich sein.«
Was nun allerdings folgte, liegt teilweise außerhalb menschlicher Vorstellungskraft und beschäftigt mich bis heute. Viele kennen sicher das Phänomen, dass man morgens nach dem Aufwachen körperlich absolut unübersehbar erregt ist. Dieses Phänomen kann selbstverständlich auch an Orten auftreten, die nicht zu sexueller Erregung passen, zum Beispiel in der U-Bahn, im Bus, in Meetings oder in Geografiestunden im November. Dagegen gibt es nur wenige Mittel; das einzig wirklich todsichere ist das, was in der Bibel Onan zum Sünder machte: kontrollierte Selbstbefriedigung.
Ganz ehrlich, ich hätte nie, aber auch wirklich nie gedacht, dass Trieb und Erregung so dermaßen unabhängig von äußeren Bedingungen sein können!
Vielleicht war es ja auch eine Übersprungshandlung, vielleicht sind die Ekel- und Abscheusicherungen vor Überlastung durchgebrannt. Vielleicht war nur der Trieb stark genug, sich über die Realität hinwegzusetzen und in eine bessere Welt zu fliehen, in der all das nicht existierte. Gibt es gar Anlass zur Hoffnung, dass selbst am hässlichsten und grausigsten Ort noch eine zarte Blume blühen kann? Wenn dem so ist, so bleibt trotzdem unterm Strich die mir damals unbegreifliche Tatsache, dass ich mir am beschissensten Ort der Welt einen runtergeholt habe.
Mein bester Freund verarscht mich bis heute damit.
Als ich nun zum zweiten Mal mit dem Fahrrad an den Gardasee kam, auf Berufssuche, genoss ich zum einen den Campingplatz, das Zelt und die Isomatte. Fühlte aber gleichzeitig den Atem des Schicksals. Was wollte mir diese Erinnerung an mein früheres Abenteuer sagen? Wenn man nach Perfektion sucht, landet man im Dreck? Soll man genügsam sein, weil auch berufliche Befriedigung an vielen Orten möglich ist?
Oder ist die Wahrheit, wie in Faust zu lesen, dass Trieb der Antrieb allen Handelns ist? Obwohl der Faust »ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider! auch Theologie durchaus studiert« hat, nutzt er die Macht, die ihm der Pakt mit dem Teufel verliehen hat, vor allem dazu, Gretchen rumzukriegen.
Das, so schwante mir, ist wohl des Pudels Kern. Nicht der Weg ist entscheidend, sondern die Frau. Ich sollte also eine Frau finden, dann würde sich der Rest schon ergeben. Aber welche Art Frau? Eine Weinbergfrau oder eine perfekte Frau? Frauen sind nicht wie Wege oder Lagerstätten, überlegte ich und beschloss, die perfekte Frau zu finden und über die Sache mit dem Beruf noch einmal nachzudenken.
Zeit dazu war noch, denn während ich im Faust schwelgte, erinnerte mich mein Freund, der als Lektüre einen Ratgeber zur erfolgreich bestandenen Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer im Gepäck hatte, dass ja noch knapp zwei Jahre Zivildienst zwischen mir und dem Eintritt ins Berufsleben lagen. Oder zwischen mir und der Universität, die aber auch eine Art Beruf darstellt. Dachte ich jedenfalls damals.
Mit
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