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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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folgen sollte, wäre es sinnvoll, als Rebell ins Berufsleben einzutauchen - unangepasst, unbequem, aber gefeiert.
    Wir fuhren zur Schule, und alles lief reibungslos. Chrysipp hatte die Farbe vorsichtshalber in Schulnähe deponiert, und Justizia & Justizia standen Schmiere, wachten über uns, während wir pinselten und auf ein Stück Karton unsere Botschaft kritzelten.
    Ich konnte nach getaner Tat kaum schlafen, so aufgeregt war ich, was am nächsten Tag passieren würde.
    Diomedes war zu Tode beleidigt. Zu Recht. Alles andere begann als voller Erfolg. Die gesamte Schule drückte sich an den Scheiben zum Pausenhof die Nasen platt. Das Rosa stand der Uhr bei Tageslicht wunderbar zu Gesicht. Sogar der Rektor verstieg sich zu dem Versprechen, sie rosa zu lassen. Ich hatte aber ein ganz anderes Problem.
    Mit jedem Kurzgespräch, mit jedem freudigen Ausruf der anderen Schüler wurde mir bewusst, dass ich etwas Entscheidendes vergessen hatte. Ich wohnte nicht unter Pseudonym im Sherwood Forest, sondern ging noch zur Schule. Will heißen, ich konnte nicht laut herumerzählen, wer die Heldentat vollbracht hatte, weil ich sonst sofort von den Schergen des Sheriffs verhaftet worden wäre. Verdammt, ich wollte doch der Held aller sein, und nicht einer von vielen in der Masse, die sagen »Toller Typ, der das gemacht hat«. Wieder eine Zwickmühle. Wenn ich mich nun verraten hätte, dann wäre das doch der Beweis, ein versagender Verbrecher zu sein. Denn wenn man ein erfolgreicher Verbrecher ist, weiß niemand, dass man einer ist. Wenn man Anonymität will, kann man auch gleich Beamter werden. Man muss sich erwischen lassen, um erfolgreich zu sein, zumindest was den Ruhm betrifft. »She wants you to steal and get caught«, hat Tom Waits gesungen.
    Gegenüber einer sehr bezaubernden Klassenkameradin versuchte ich, mit Andeutungen meine Schuld und Schlechtigkeit durchscheinen zu lassen, ohne offen geständig zu sein. Bis zu dem Moment, als sie laut und für alle im Umkreis von fünfzehn Metern hörbar rief:
    »Was, das warst du?«
    Es war sehr still.
    Chrysipp zischte mir ins Ohr:
    »Bist du wahnsinnig?«
    Ich verneinte beides.
    Dann schauten alle im Umkreis von fünfzehn Metern wieder weg.
    Resignierend dachte ich, dass die schiefe Bahn, was mich betrifft, ausreicht, um Skateboard und Ski zu fahren, aber für mehr auch nicht.
    Dazu kam, dass Chrysipp als alter Logiker abwaschbare Farbe genommen hat, um juristische Konsequenzen in Form von Beschädigung öffentlichen Eigentums zu vermeiden. Und schon zur ersten Pause gegen halb Elfhundert war die Farbe abgewaschen. Auf Anordnung von oben natürlich. Rektoren sind wie Kanzlerkandidaten oder Prince John, der böse Bruder von Richard Löwenherz. Sie versprechen dem Pöbel, was er hören will, tun so, als wären sie gute Könige, und vernichten nach der Inthronisation alles, was ihre Tyrannei untergräbt. Dann sagen alle »Schade« und haben Hunger auf das Pausenbrot. Was bleibt, ist die freundliche Art des Tyrannen vor seinen Verbrechen, so wie das, was vom Verbrecher hängenbleibt, seine Hinrichtung ist.
    Ruhm ohne Tod ist abwaschbar.
    Noch zu würdigen wäre der Beitrag von Justizia & Justizia. Wie sich herausstellte, hatten beide Schwestern, die Schmiere standen und uns warnen wollten, wenn jemand käme, deutlich über vier Dioptrin. Kurzsichtigkeit, wohlgemerkt. Sie hatten aus ästhetischen Gründen weder Brille noch Kontaktlinsen dabei und Chrysipp und mir das Detail, dass sie nachts ohne Sehhilfe ab fünf Metern Entfernung einen Laternenpfahl nicht mehr von einem tanzenden Kosaken unterscheiden konnten, gnädig verschwiegen.
    Und diesem Umstand sei auch ihr Name Justizia geschuldet, denn die Rechtssprechung drückt immer ein Auge zu, wenn der Verbrecher anonym bleibt. Das mag tröstlich sein, aber für jemanden wie mich, der Anerkennung wollte, war es unerträglich. Ich war meinem Ziel, etwas zu werden oder zumindest eine Ahnung zu bekommen, was ich werden könnte, wieder mal keinen Schritt näher gekommen. Doch obwohl ich das Gefühl hatte, nicht mehr viel Zeit zu haben, wusste ich, die beste Zeit war sicher noch nicht vorbei, geschweige denn gekommen.
     

9
     
    abiturient
     
    Die Zeit drängte, endlich das auszuwählen, was ich mal werden sollte. Zumindest war das Vorspiel vorbei, das Abitur war geschafft - dank eines ausgeprägten Kurzzeitgedächtnisses und trotz eines herrlichen Frühsommers, der einem keine Wahl ließ und zum Besuch von Biergärten geradezu zwang.
    Die

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