Und was wirst du, wenn ich gross bin
kam, dass die Bedrohung durch den Russen dank Gorbatschow täglich abnahm, und somit akut kein Feind zu erwarten war. Bundeswehreinsätze im Ausland waren undenkbar, also war der Wehrdienst mehr platonisch als kriegerisch, eher wie Schattenboxen. Sogar ohne Sandsack. Irgendwie schon, oder?
Man merkt wohl laut und deutlich, dass ich mich immer noch frage, welcher Teufel mich damals sediert hat, anstatt mich zumindest zu reiten oder wenigstens zu satteln.
In Sardinien bin ich jedenfalls bis heute nicht gewesen, der Wehrdienst fand weniger als zehn Kilometer von zu Hause entfernt statt. Denn anstatt zur Luftwaffe wurde ich zum Heer befohlen, zu den Sanitätern. Das hatte den Vorteil - neben der häuslichen Nähe der Kaserne -, humanitär zu klingen. Sanitäterausbildung ist schließlich Sanitäterausbildung, ob zivil oder unter Weißbier - ist doch fast das Gleiche. Nicht direkt Dienst an der Waffe, sondern an der Mullbinde, bla bla bla.
Aber es ist egal, was man auch immer macht, irgendwann ist man mürbe genug, um trotzdem zu versuchen, einigermaßen gut darin zu sein. Nachdem in der Grundausbildung klargemacht wurde, dass der Abiturient beim Bund der Klumpfuß unter den Hundertmeterläufern ist, begann ich, mich mit den Sitten und Gebräuchen des Heeres vertraut zu machen. Und wie in der Schule ging es hier nicht um Anerkennung durch die Obrigkeit, sondern durch die Leidensgenossen.
Die unter den Mitsoldaten wichtigste und angesehenste Tätigkeit, noch vor dem Weißbierverzehr, war das sogenannte »Seilen«. Das wiederum ist die Kurzform von »Abseilen« und beschreibt die Kunst, sich so weit wie nur möglich von Ereignissen und Tätigkeiten jeglicher Art fernzuhalten. Da ich schon immer gefühlte Sinnlosigkeit mit Immunschwäche verbinden konnte, war ich also den Großteil der Grundausbildung über mit Grippe geschlagen. Der damit verbundene »Innendienst«, also der Verzicht auf Freilandspiele mit echten Waffen und Gasmasken, brachte mir neben viel Anerkennung auch einen Spind mit bestimmt acht Schachteln nicht benutzter Antibiotika ein und dazu eine unter den Kollegen viel beachtete Erfindung hervor: Das Blocker-Curling.
Ein Blocker ist ein sehr schweres Stück Metall mit einer Teppichunterseite an einem Stiel, das benutzt wird, um gewachsten Linoleumboden zu polieren. Da Innendienst immer mit Putzen verbunden ist, habe ich in den Mußestunden des Bodenpolierens mit einem anderen erkältungsgeschwächten Rekruten festgestellt, dass man durch Verwendung eines zweiten Blockers die Geschwindigkeit eines kräftig geschubsten Blockers beschleunigen kann. Das wiederum heißt, sobald man zu viert ist, kann man herausfinden, welches Team den Blocker aus einer bestimmten Entfernung näher an die Wand schubsen kann. Einer schubst, einer schrubbelt vor dem geschubsten Blocker. Wie beim Curling. Zum Glück gab es immer einige Erkältete im Spätherbst. Und man kann Blocker-Curling sogar um Geld spielen.
Unter Umständen waren es die gewonnenen Reichtümer, die mich so anfällig dafür machten, dem Mammon auch weiterhin meine Moralvorstellungen zu opfern. Jedenfalls gab es für neun Monate Wehrdienstmehrdienst tausend Mark mehr im Monat. Dreizehnhundert statt dreihundert. Vielleicht hätte ich auch mal was von den Antibiotika nehmen sollen, aber die traurige Wahrheit bleibt, ich verpflichtete mich für zwei Jahre.
Allerdings nicht um Karriere zu machen, also eine Offizierslaufbahn einzuschlagen (dabei hätte dann das Abitur wiederum geholfen). Ich habe meine Restwürde dazu benutzt, wenigstens ein Zeichen dafür zu setzen, dass ich zwar käuflich bin, aber nur innerhalb der Grenzen der allgemeinen Anerkennung. Als Z2, was so viel bedeutet wie »Seele für zwei Jahre verkauft, ohne Gretchen« und »Zettler« ausgesprochen wird, musste ich eine zusätzliche Ausbildung machen und habe mich für den Stabsdienst entschieden. Eine zweijährige Tätigkeit als Mannschaftsdienstgrad.
Man muss sich das wie bei einem großen Unternehmen vorstellen. Da gibt es die Angestellten, das sind die Wehrpflichtigen, und die sind froh, wenn der Tag rum ist. Dann gibt es die Abteilungsleiter, das sind die Unteroffiziere, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, den Angestellten zu zeigen, warum sie nur Angestellte sind. Schließlich die Hauptabteilungsleiter oder Manager, das sind die Offiziere, die je nach Persönlichkeitsstruktur entweder einfach dekorativ vorhanden sind oder unbedingt aufsteigen wollen. Und zu guter Letzt der Vorstand,
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