Und was wirst du, wenn ich gross bin
wir ans Werk und begannen die Kläranlage zu installieren. Ich schraubte hauptsächlich Flansche an und bin heute noch froh, durch diese Tätigkeit zu wissen, was ein Flansch ist, denn ich mag das Wort Flansch. Weil es technisch ist und sich auch so anhört, aber gleichzeitig sympathisch klingt: Flansch. Für die, die nicht wissen, was ein Flansch ist: Ich werde es nicht verraten! Es gibt Wissensvorsprünge, die man sich bewahren sollte.
Flansch.
Entschuldigung.
Außerdem wurden lange Luftleitungen verlegt, was mit dem Prinzip dieser Art Kläranlage zusammenhing. Denn dort wurde nicht irgendeine Art Chemie in die verdreckte Brühe gekippt, wie man das aus dem Kinderbecken des Schwimmbades kennt. Nein, dem verdreckten Wasser wurde von unterhalb der Oberfläche einfach Luft zugespielt und dann wieder keine Luft, was unter der Wasseroberfläche natürlich relativ einfach zu bewerkstelligen ist, und durch diese Abwechslung siedelten sich Bakterien an. Die wiederum hatten dann Hunger auf Dreck und klärten das Wasser. Das ist jetzt natürlich grob vereinfacht, vor allem aus patentrechtlichen Gründen. Ich vermute, im Kinderbecken des Schwimmbads könnte man mit dieser Methode auch nichts ausrichten, aber es klärt zumindest Abwässer bis zur Trinkwasserqualität.
Da Bakterien etwas sind, was ebenfalls dem Bereich des Drecks zugerechnet wird, könnte man nun sagen, dass hier Wasser gereinigt wird, indem man es auf eine andere Art und Weise verunreinigt. Das leuchtet ein, denn wenn man Liebeskummer hat, geht er ja auch nur dann weg, wenn man eine gewisse Zeit lang traurige Lieder hört und Dostojewski liest.
Sauberes Wasser ist zudem ganz grundsätzlich gesellschaftlich eine wichtige Aufgabe, deren Bedeutung mir bewusst war. Schon meine Oma hatte mir immer gesagt:
»Wasser wird mal wichtig.«
Sie hat nie genau gesagt, für was es wichtig wird, nur »Wasser wird mal wichtig«. Doch ich kannte ihren Tonfall genau und konnte gut unterscheiden, ob sie etwas nur sagte, um es zu sagen, oder weil es eng wurde. Dann musste man auf der Hut sein, weil es dann nämlich richtig ernst war. Deshalb nehme ich seither mit größtem Nachdruck an, dass Wasser mal wichtig wird.
Wenn man sich einmal hineinbegibt in die Materie, besonders wenn man Tag für Tag acht bis zehn Stunden daran schraubt, dann merkt man, dass es sich beim Klären generell um eine sehr philosophische Tätigkeit handelt.
Muss sich eine Gesellschaft nicht letztlich an ihrem Abfall messen lassen? Denn das ist es ja zuvorderst, was sie hinterlässt. Erfährt man über jemanden nicht genauso viel, wenn man seinen Müll durchforstet, wie wenn man seine Einrichtung begutachtet? Ich hatte, als ich mal mit Freunden in Urlaub war, auf der Straße einen undefinierbaren kleinen Gegenstand aus Metall und Plastik gefunden. Während ich ihn betrachtete und überlegte, was es sein könnte, kam ein Freund hinzu und fragte, was ich da gefunden hätte. Ich sagte:
»Das ist das Ding, was man wegschmeißt, wenn man’s findet«, und warf es weg. Am nächsten Tag habe ich es in zwanzig Metern Entfernung wiedergefunden und anschließend ein Jahr lang als Halskettenanhänger getragen. Man muss dazu sagen, meine Freunde waren, was Halsschmuck meinerseits betraf, einiges gewohnt, seit ich in der Zoohandlung ein Hundehalsband probiert und anschließend ebenfalls knapp ein Jahr getragen hatte. Was ich damit meine: Kommt vielleicht wirklich alles, was man wegwirft, irgendwann zu einem zurück?
Und noch ein Gedanke: Wenn man mal auf etwas geschissen hat, heißt das nicht, es ist für immer weg oder unbrauchbar. Man muss die eigene Scheiße aus der Sache rausklären, dann ist es wieder gesund. Ein nicht uninteressantes Prinzip, gerade für das Berufsleben. Wenn ich also meinen Berufswunsch von dem befreien könnte, was ihn mir verleidet hatte, wäre es wieder das Richtige. Das freute und motivierte mich so lange, bis mir einfiel, dass ich ja noch gar keinen Berufswunsch hatte. Aber andererseits hatte ich auch keinen Berufswunsch wirklich entsorgt oder geklärt, außer beim Thema Berufssoldat, so dass noch alle Möglichkeiten da waren. Was, wenn man ehrlich ist, die Sache auch nicht gerade vereinfacht.
Wie man unschwer hören kann, hatte ich sehr viel Zeit zum Nachdenken, trotz Vollbeschäftigung. Auch abends. Wir waren in Gastzimmern auf einem Bauernhof untergebracht, der von einem sehr alten dänischen Ehepaar bewirtschaftet wurde. Wollen wir sie Philemon und Baucis nennen, wegen ihrer
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