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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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mal den Vorteil, ein Auto gestellt zu bekommen. Ich war also mobil. Zwar hat man nach acht Stunden Autofahren nicht mehr ganz so den Drang nach Mobilität, trotzdem fühlt man sich mit Auto flexibler. Um es gleich vorab zu sagen, das Kurierfahren war keine einfache Tätigkeit, vor allem weil die Erfindung des Navi zwar schon stattgefunden hatte, aber die Nutzung noch dem amerikanischen Militär vorbehalten war. Getröstet wurde ich dafür mit einem echten Autotelefon. Das war eine Sensation, so etwas hatte damals der Außenminister im Auto und vielleicht ein paar Milliardäre, aber sonst fast nur ich. Ich habe es auch eigentlich nie genutzt. Die Gesprächsminute kostete mehr als ein vertragsloses Handy, was es damals allerdings ebenfalls nicht gab. Aber man konnte mich im Auto anrufen, wenn man das gewollt hätte. Das Telefon hatte die Größe eines Aktenkoffers und wog so viel wie ein Amboss, die Antenne nicht mitgerechnet.
    Doch zurück zu den Tücken des Berufs. Da gab es zwei.
    Zum einen ist Kurierfahren eine der Verrichtungen, die gelebtem Buddhismus am nächsten kommen. Wenn man sich für diese Sichtweise entscheidet. Die Alternative dazu ist das Ausbilden eines Herzfehlers und ein zunehmendes Infarktrisiko. Denn es gibt nichts auf dieser Erde, was einen ähnlich aggressiv machen kann wie Autofahren unter Zeitdruck. Das liegt nicht nur an böswillig angebrachten Verkehrshindernissen wie Ampeln, Einbahnstraßen und ein beschrankten Bahnübergängen, sondern vor allem an dem schrecklichen Übel, das unter dem Deckmantel der harmlos klingenden Beschreibung »andere Verkehrsteilnehmer« sein Unwesen treibt. Man fährt ja jeden Tag ähnliche Strecken, kennt also sein Revier zunehmend, weiß, welche Ampeln wie geschaltet sind, wann wo Stau ist, und welche Kurve welche Geschwindigkeit erlaubt. Zudem hatte ich mein Geschick mit Autos schon mit zwölf bei meinem EDV-Job unter Beweis gestellt.
    Doch dann wird in dieses sorgfältig austarierte System, das manchmal fast das absolute Äquilibrium erreicht, eine Unmasse an Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern gekippt, deren einzige Aufgabe es ist, zu provozieren oder Unfälle zu verursachen. Das Schlimme ist, wenn man gegen Geld fährt, will man schnell fertig sein, und bei Kurieren gibt es kein Taxameter, das auch im Stau weiterläuft, da gelten Fixpreise. Das heißt, wenn man in einer Landstraßensituation am Stadtrand ist, ohne Schleichwegmöglichkeit und bei Gegenverkehr, und vor einem biegt ein Zweihunderter-Mercedes aus einer Hauseinfahrt, mit einem Insassen, dessen Pepitakopfschmuck verrät, dass das Kriegsbeil ausgegraben wurde, weiß man, der Ernstfall ist eingetreten. Sofortiges Anbremsen ist hier Pflicht. So ein Fahrer biegt in die Straße ein, ohne zu schauen, weil es seiner Meinung nach seine Straße ist und immer war, und er wird niemals schneller als 45 km/h fahren, weil er sein Reich inspizieren und wahrscheinlich auch während der Fahrt markieren will. Der eigene Puls schnellt auf hundertachtzig, und wenn man dann daran denkt, wie viel Zeit das kosten wird, bleibt nur Cholerik und unkontrolliertes Rumgebrülle im eigenen Auto. Oder eben der Buddhismus. Ich war schon nach drei Monaten so weit, dass ich Rechtsabbiegern, die das Auto erst zum Stillstand bringen und dann den Blinker betätigen, mit einem entspannten Lächeln den Mittelfinger zeigen konnte. »Om mani padme hum«, wie der Tibeter sagt, was so viel bedeutet wie »Kreisverkehr ist auch keine Lösung«. Das ist natürlich nicht wahr, tatsächlich soll dieses Mantra eine Grundhaltung des Mitgefühls zum Ausdruck bringen, den Wunsch, dass alle Lebewesen sich mittels Erleuchtung aus dem Kreislauf der Wiedergeburt befreien, weil das nicht zuletzt die Anzahl der Verkehrsteilnehmer reduzieren würde.
    Die andere große Herausforderung des Kurierfahrens ist ein mathematisches Problem. Denn eine der komplexesten rechnerischen Aufgabenstellungen ist das in Mathematikerkreisen sagenumwobene »Travelling Salesman Problem«, das »Außendienstlerproblem«. Hierbei geht es darum, zu ermitteln, was die schnellste Strecke ist, wenn jemand, sagen wir mal, dreißig verschiedene Orte anfahren muss, die aber nicht einfach auf einer langen Straße hintereinanderliegen, sondern wild verteilt sind. Da gibt es rechnerisch so unfassbar viele Möglichkeiten, dass man zu keiner eindeutigen Lösung gelangt, vor allem wenn noch weitere Faktoren hinzukommen, so wie Baustellen, Stauwahrscheinlichkeit und »wo gibt es die

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