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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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aber wen interessiert das, wenn die Musik gut ist und die Richtung stimmt.
    Im Anschluss an das sechste Mal schlenderten wir mit zwei Gläsern und einer Flasche Sekt bewaffnet zum nahegelegenen Isarkanal. Dort haben wir uns auf einer Brücke im Mondschein geküsst.
    Das war einer von drei Momenten in meinem Leben, in denen ich das Gefühl hatte, angekommen zu sein. Der zweite war an einem See und der dritte beim Schauen eines japanischen Zeichentrickfilms, wobei jeweils zehn Jahre dazwischen liegen sollten.
    Aber zurück zu jenem ersten Moment, damit er noch einen Augenblick verweilt: So ein Isarkanal, dessen betonierte Einfassung die Schwester des Treppenhauses sein könnte, kann sogar das balinesische Meer ersetzen, wenn der Mond scheint und die Haare der Begleitung duften. Ich schwelgte in der Gewissheit, die Putzfrau würde erreichen, was dem Wildhüter verwehrt geblieben war. Es gab schließlich eine Menge angestaute Unschuld meinerseits, die verloren werden wollte, und die erste Stufe dorthin war gewischt.
     

15
     
    postillon
     
    Wenn es mal läuft, dann läuft’s richtig. Nachdem ich Klytämnestra unmittelbar nach dem Isarkanal zu ihrer sich bereits sorgenden Gastfamilie zurückgebracht hatte, bekam ich am nächsten Morgen die Zusage für einen neuen Job: für die Post am Flughafen Briefe verfrachten, abholen und sortieren. Das Ganze in der Nachtschicht, also bei fast doppeltem Stundenlohn. Das Putzen allein hatte nicht ausgereicht, um die Reiseschulden zurückzuzahlen.
    Jeder hat ja schon oft und viel über die Post gelästert - allein deshalb sollte man es mal selbst gemacht haben. Und Postbeamter, also fast so etwas wie ein Briefträger oder Postillon, das war eine romantische Aufgabe. Noch dazu am Flughafen. Die Briefbotschaften nach Postleitzahl sortieren, die Menschen aus aller Welt ihren Liebsten schreiben, Reiseberichte, Grüße aus entfernten Ländern, entlegenen Gegenden. Der Bettelbrief eines jungen Reisenden an seine Eltern vielleicht oder der Brief eines zu Unrecht eingekerkerten vermeintlichen Drogenkuriers an seine Auftraggeber. Ich war Teil der Kette, die Brieffreundschaften ermöglichte, so große Briefwechsel wie die von Goethe und Schiller, Thomas Bernhard und Siegfried Unseld oder Keanu Reeves und Sandra Bullock. Und ich durfte blaue Latzhosen dabei tragen! Kurz, ich war Teil jener langen Kette von Verliebten, die in ihrer hormonbedingten Gehirnamputiertheit auch wirklich jedem Job etwas abgewinnen können.
    Nach einigen Tagen war ich bereits so schnell im Briefesortieren, dass ich bis zur finalen Briefsackbestückung der ausfliegenden Container um halb drei schon über eine halbe Stunde lang mit den Kollegen Schafkopf spielen konnte. Das war nicht einfach, denn wer zuerst kam, spielte zuerst. Mir fällt es schwer, es zuzugeben, aber auch dank der Tipps, die ich beim Bund bekommen hatte, konnte ich mir so den Lohn noch etwas aufbessern. Wobei ich einräumen muss, dass einige der Kollegen schon nebenbei an der Uni studierten, was man ihrem Kartenspiel deutlich anmerken konnte: viel zu verkopft.
    Alles war gut, und nun stand nur noch ein Ereignis meinem ganz großen Glück im Weg. Das erste Mal!
    Ich ging mit Klytämnestra am darauffolgenden Samstag zum Tanzen, musste aber aufgrund eines schon früh am nächsten Morgen beginnenden Fußballturniers früher nach Hause. Das zumindest wusste ich als erfahrener Mann aus dem Sportteil der Zeitung: Sex vor dem Spiel ist kontraproduktiv für beide Ereignisse. Gut, die Trainer, die dies behaupteten, waren schon damals nicht mehr ganz frisch, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Wenigstens hatte niemand etwas von »nach dem Spiel« gesagt. Außerdem sind sportliche Erfolge bestimmt libidofördernd, dachte ich. Und so erkor ich den Sonntag zum Tag des Herrn.
    Als wir uns Samstagnacht in der Disco mit einem Kuss verabschiedeten, hatte ich mit ihr vereinbart, am frühen Abend des nächsten Tages zu telefonieren und uns dann zu treffen.
    Am Sonntagmorgen war ich früh wach und pünktlich beim Turnier. In meinem ganzen Leben habe ich nicht so bodenlos schlecht gespielt, und die Restmannschaft hätte mich auch sonst wahrscheinlich allein aufgrund meines dümmlichen Dauergrinsens gelyncht, aber ich machte mich nach Turnierschluss rechtzeitig vom Acker.
    Ich duschte eine Dreiviertelstunde lang, rasierte mich, und wenn ich statt zwanzig schon Mitte dreißig gewesen wäre, hätte ich mir sogar das Nasenhaar getrimmt. Ich bezog mein Bett frisch, räumte

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