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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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das Zimmer auf. Es war alles bereitet.
    Zugegeben, ich wurde langsam nervös, aber ich erinnerte mich daran, das erste Mal ja eigentlich schon so gut wie erlebt zu haben. Sogar zweimal! Ich ging trotzdem nochmal die Checkliste durch:
    1. Hose ausziehen und2. Egal was passiert, weiteratmen!Gut. Ich war vorbereitet. Ich rief sie mit klopfendem Herzen an.
    Manchmal weiß man schon nach ein paar Sekunden, dass irgendetwas überhaupt nicht stimmt. Sie klang emotional so nah, als sei sie gerade in den USA. Im Verlauf des Gesprächs, das zwanzig Minuten dauerte, fand ich mühsam den Grund heraus, so wie ein Zahnarzt, der die entzündete Wurzel sucht und schließlich aufspürt. Leider war ich gleichzeitig der Patient. Der Weg zur entzündeten Wurzel war also bereits sehr schmerzhaft, aber als ich sie endlich berührte, hatte ich für einige Augenblicke einen kompletten Blackout. Nicht nur, dass sie mir klarmachte, wir würden uns an dem Abend nicht sehen, nach neunzehn Minuten rückte sie auch damit heraus, sich am Abend zuvor in einen anderen Kerl verliebt zu haben.
    Wenn man nach einem gefühlt großartigen beruflichen Erfolg ins Büro des Chefs gerufen wird und in vollem Bewusstsein der sich gleich ereignenden Beförderung gekündigt wird, dann ist das vielleicht ein leises Echo dieser Situation. Wer so was schon mal erlebt hat, weiß genau, wovon ich spreche. Wenn man anschließend in sein Büro zurückwankt und dort die Erfolgsbilanzen liegen, die einem vorkommen wie ein schlechtes Witzbuch, in dem jeder abgeschmackte Uraltscherz auf die eigene Kappe geht, dann mag man erahnen, wie ich mich - aufgeputzt und gestriegelt neben dem frisch bezogenen Bett - gefühlt habe.
    Ich kann nicht mal behaupten, es hätte wehgetan; als der Schmerz nach drei Tagen endlich einsetzte, war das fast schon eine Erleichterung, bis dahin war einfach nur alles taub.
    Das war einer von drei Momenten in meinem Leben, in denen ich das Gefühl hatte, ich würde niemals zu Hause ankommen. Tom Waits war allerdings nur an einem der beiden weiteren beteiligt. In den ersten Wochen wollte ich mich konsequenterweise mit seiner Musik trösten, habe es aber nicht übers Herz gebracht. Denn obwohl viele fälschlicherweise annehmen, seine Musik wäre für solche Anlässe geradezu geschaffen, ist das falsch, sie ist nämlich im Kern sehr optimistisch.
    Nun könnte man einfach in Mitleid für mich schwelgen, und einen traurigen Abend an einer Bar vermuten, aber ich habe manchmal ein Händchen, Situationen noch den nicht vermissten Zuckerguss überzustreuseln - oder die Krone falsch herum aufzusetzen, um im Zahnarztbild zu bleiben.
    Denn in meiner Fassungslosigkeit musste ich einfach mit jemandem reden und bin deshalb zu einem Kumpel gefahren, wollen wir ihn Ägisthos nennen, wegen dem, was bei ihm geschah. Schon zwanzig Meter vor dem Ziel überfiel mich plötzlich der Gedanke, das könnte keine gute Idee gewesen sein. Ein euphemistischer Gedanke, wie sich erweisen sollte, denn Klytämnestra war schon vor mir da. Ich hatte mir zum Vollheulen unwissentlich denjenigen ausgesucht, den auch sie sich ausgesucht hatte. »Great minds think alike«, wie der Amerikaner sagt. Große Geister denken gleich. Gestörte wohl auch.
    Für die Situation, wie ich den beiden gegenüberhockte, die sehr verschämt händchenhaltend auf seinem Sofa saßen, mit einer Mischung aus Trotz und schlechtem Gewissen, fällt mir leider kein Bürovergleich mehr ein, und auch dem Zahnarzt wären an dieser Stelle die Werkzeuge ausgegangen.
    Was nicht bedeutet, es ginge nicht noch mehr. Ich habe die beiden dann zehn Tage lang nicht gesehen, bis zu meinem Geburtstag, als sie mich während der laufenden Feier besuchten. Ich bin mir sicher, das war gut gemeint, aber spätestens, als sie am fortgeschrittenen Abend bei mir im Wohnzimmer anfingen zu knutschen, haben sie meine Souveränität und Selbstheilungskräfte doch überschätzt.
    Mir standen zwei Vorgehensweisen zur Verfügung. Die eine Alternative wäre der Gebrauch taktischer nuklearer Waffen gewesen, die aber bei Einsätzen in Doppelhaushälften dazu neigen, die Möbel anzugreifen. Und es waren auch gerade keine zur Hand. Ich habe mich deshalb für die zweite Möglichkeit entschieden: Ich habe ihnen Rain Dogs aufgelegt und bin mit anderen Gästen zu einem See gefahren. Klytämnestra habe ich nach diesem Abend nie wieder getroffen, sie ging auch drei Wochen später zurück in die USA. Mit Ägisthos bin ich bis heute befreundet.
    Ganz ehrlich,

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