Und was wirst du, wenn ich gross bin
ich weiß auch nicht, warum ich so bin. Ich glaube, wenn man wie ich bei so vielen Umzügen mitgeschleppt hat, will man nicht auch noch nachtragen.
Doch ohne Wirkung blieb das alles natürlich nicht. Das Putzen, das Entrümpeln und vor allem die Post hatten ihren Reiz verloren. Meine letzte Amtstat als Postillon war, dass ich sechs Wochen später einen Brief, den die mittlerweile in die USA zurückgekehrte Klytämnestra an Ägisthos geschrieben hatte, illegal vom Briefweg abzweigte und Ägisthos in der Disco, in der das Unglück begann, überreichte. Ich fand das ausgesprochen stilvoll im Waits’schen Sinne. Trotzdem wollte ich danach nur noch weg und alle Scheiße dieser Welt vergessen.
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kläranlagenmonteur
Der Teil meines Planes mit dem Weitweg-sein hat sogar recht gut funktioniert, das mit dem Scheiße-vergessen weniger. Allerdings nicht unpassenderweise und völlig im Einklang mit der geforderten Aufgabe. Nachdem ich drei Wochen im Lager einer Firma gearbeitet und mich dort auch ohne Wischmopp bewährt hatte, habe ich die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, für vier Wochen nach Dänemark zu gehen, um dort unter ingenieurieller Aufsicht bei der Feinmontage einer Kläranlage mitzuwirken. Den Tipp für diesen Job hatte ich von meiner Exverlobten, unserer kurzen Verwandtschaft wegen. Blut ist eben manchmal dicker als schmutziges Wasser.
Mir kam das zupass. Im kargen Polareis, der Heimat der langen Winternacht, in freier Natur körperlich zu arbeiten, schien mir das Richtige, um zu vergessen und neuen Mut aus der gefrorenen dänischen Erde zu schöpfen. Eine Einkehr am nördlichsten Rande der bewohnten Zivilisation - wenn man sich Schweden, Norwegen und Finnland mal wegdenkt. Und romantische Verwicklungen waren so gut wie ausgeschlossen. Ich rechnete nicht damit, in so unwirtlichen Gegenden auf Frauen zu treffen. Ich gebe zu, dieser Gedanke ging vielleicht ein bisschen weit und würde den ausgesprochen freundlichen Dänen doch ein wenig zu nahe treten. Vermehrung musste ja stattgefunden haben, um genug Ausscheidungen zu produzieren, aufgrund derer wiederum zu viel faul geworden war im Staate Dänemark. Meistens sind ja Menschen der Hauptgrund für Klärungsbedarf. Aber zumindest war die Wahrscheinlichkeit gering, auf der Kläranlagenbaustelle Frauen zu treffen. Und wesentlich mehr als diese Baustelle habe ich in den vier Wochen auch nicht gesehen.
Nun möchte ich vorab, nun ja, klären, dass der Job zwar erst mal beschissen klingt, aber die Scheiße, also im Sinne der tatsächlichen Exkremente, ja erst eintraf, nachdem wir unseren Job beendet hatten. Wir waren nur die Wegbereiter. »Nach uns die Sintflut« ist in diesem Fall wohl der treffende Ausdruck. Während der Arbeit waren wir so gut wie allein, die groben Arbeiten, wie Zement gießen und unterirdische Zuund Abflüsse legen, waren bereits getan, und wir installierten den Rest, bevor zu guter Letzt der Hahn geöffnet wurde. Im Vergleich zu meinen Entrümpelungsarbeiten zuvor war das Ganze also eine Tätigkeit im sterilen OP mit Anklängen von Reinsträumen. Nur der Vollständigkeit halber, Reinsträume sind die Räume, in denen alle mit weißen Overalls und Duschhauben herumlaufen. Wir trugen zur Arbeit grüne Overalls mit fellgefütterten braunen Westen, ganz so wie Wikinger in grünen Overalls mit fellgefütterten braunen Westen, nur eben ohne gehörnten Helm. Dafür hatten wir warme Handschuhe.
Aber abgesehen von den modischen Aspekten: das Prinzip, dass etwas schmutziger klingt, als es ist, kennt man ja nicht nur vom Sex (den ich noch nicht kannte). Wem alles harte Arbeit oder Heldentum oder »durch die Scheiße gehen« unterstellt wird, und wer es tatsächlich macht, das sind ja oft mehr als zwei Paar Schuhe. Man denke allein an all die Fußballvereine, die sich gerne mit dem Wort »Arbeiterverein« schmücken und bei denen, von den Fans abgesehen, viele noch nie in ihrem Leben Arbeit von innen gesehen haben.
Wir hingegen kamen uns beinahe vor wie Männer auf einer Ölbohrinsel. Ich weiß nicht genau, warum, schließlich wusste ich von Ölbohrinseln nicht mehr, als dass man dort in Videotheken ausgeliehene Kassetten oder DVDs nicht ohne Genehmigung abspielen darf. Das kann man im Vorspann der Filme lesen, der Grund dafür ist wohl der Kopierschutz oder auch die drohende Feuergefahr. Vielleicht befürchtet man, die Ölarbeiter wollen sich - wie ich - Filme auch immer bis zum Ende ansehen, egal was gerade passiert.
Jedenfalls gingen
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