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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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Das klingt heute so, als würde man erzählen, man war mit dem Pferdefuhrwerk im Baumarkt und dann noch kurz beim Hufschmied tanken mit den Worten:
    »Meister, leg er mir noch einen Schokoriegel und eine Cola drauf, bevor er anspannt.«
    Ich hatte also viel Zeit. Diese Zeit nutzte ich, um den firmeninternen Rekord im hausinternen Computerspiel »Autorennen« aufzustellen, das die Programmierer selbst geschrieben hatten. Die Passwörter für das Spiel zu bekommen war ein großes Kompliment an mich, an meine Vertrauenswürdigkeit und meine Verschwiegenheit. Gut, mit vierzehn war man ja beispielsweise in steinzeitlichen Kulturen schon längst volljährig. Die Einführung in die Spielregeln grenzte fast schon an ein indianisches Ritual und wog weit schwerer als das Vertraulichkeitsbriefing, das ich von offizieller Firmenseite erhalten hatte.
    Ich habe mich der Verantwortung gestellt und drei harte Wochen lang gearbeitet, um am vorletzten Tag den Highscore zu zementieren. Sicher ist das Wort Computerspiel irritierend, da es keine Grafik gab, das Spiel also aus reinen Zahlenangaben bestand. Aber so wie Jahre später im Film Matrix zu bestaunen, kann man lernen, Zahlenkolonnen zu lesen, als würde man Bilder betrachten. (Ebenso wie man lernen kann, Computer zu spielen und sich dabei vorzustellen, man würde arbeiten.)
    Um geistig nicht zu verkommen, gab es ein weiteres Ritual: Jeden Donnerstag nach der Mittagspause wurde im Kreise der Büromannschaft das Kreuzworträtsel des Zeit -Magazins gelöst.
    So sah also echte Arbeit aus, das war es also, was Eltern während ihrer Tagesfreizeit machten. Interessant, aber irgendwie auch enttäuschend. Unter Arbeit hatte ich mir irgendwie mehr vorgestellt. Lösen Verhaltensforscher im Busch auch jeden Donnerstag das Kreuzworträtsel? Ich beschloss, Ausschau nach mehr zu halten, nach Dingen, die wichtiger sind als Lohnsteuerkarten. Die einen erheben, die bleiben.
    Was das Bleiben betrifft, mein Rundenrekord war übrigens 2:41:05 min.
    Mehr lässt sich hierzu nicht sagen, aber wie ich später auch in anderen Bereichen erfahren sollte, sind erste Male häufig eher kurz.
     

6
     
    friedensstifter
     
    Erwachsenwerden bedarf einer gewissen Erfahrung, es muss wie ein Steak eine Weile abhängen, bis man die nötige Reife erreicht, sich also nicht nur erwachsen fühlt , so wie mit dreizehn, wenn die äußere Reife noch von Pickeln gestört wird, sondern wenn man es auch wirklich ist, so wie ich mit fünfzehn.
    Mir wurde damals schon kurz nach den Sommerferien klar, dass ich mich nun als Zehntklässler nicht mehr von anderen Berufstätigen unterscheide, außer durch die günstigere Monatskarte. Die Sorglosigkeit der Kindheit war lang vorbei, die Klippen der Pubertät waren umschifft, und jetzt wurde es Zeit, meinen Platz am Ratsfeuer der Älteren einzunehmen. Man darf als Erwachsener nicht mehr nur an sich selbst denken, sondern muss auch was zurückgeben. Aber was? Und an wen?
    Die Antwort hierzu dämmerte herauf, als ich eines Samstags beim ehrenamtlichen Einkauf für den Wochenendbrunch die Butter vergessen hatte. Mein Vater, sonst teilweise tolerant, wenngleich schon sehr weit von seinen antiautoritären 68er-Ideen entfernt, bekam einen bei ihm hie und da üblichen semicholerischen Anfall, in diesem Fall wegen der Wertlosigkeit von gut gemeinten Aktionen wie Einkaufen, wenn sie unvollständig durchgeführt werden. Ich wiederum bekam einen semicholerischen Anfall über dieses beinahe schon faschistoid zu nennende Gründlichkeitsdenken, das so viel guten Willen meinerseits einfach negierte, zugunsten ungebremsten Ablassens angestauter Übellaunigkeit. Was nutzt es einem, wenn der Vater im Krieg geboren wurde, aber vor lauter Wirtschaftswunder vierzig Jahre später sein Brot nicht mehr ohne Butter essen kann?
    »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint«, sagte mein Vater.
    Was für eine überflüssige Ansage! Wenn eine so gut gemeinte Aktion wie der Frühstückseinkauf aufgrund kleiner kosmetischer Mängel also nichts gilt, kann ich es auch gleich bleibenlassen, brüllte ich. Ich habe es nur anders formuliert:
    »Dann kauf halt nächstes Mal den Scheiß allein.« oder so ähnlich.
    Aber es war offensichtlich zu spät für Argumente. Altersstarrsinn. Noch während ich erneut zum Laden radelte, um Butter zu holen, kam die traurige Gewissheit über mich: Mein Vater war spießig geworden, hatte die Revolution und ihre Ideale schmählich verraten. Wie so viele Mitglieder der herrschenden Klassen

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