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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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zu.
    Wir fangen an, weil wir weiß sind.
    Mein erster Gedanke war:
    »Und gleich hören wir auf, weil wir tot sind.«
    Denn der Bruder des schwarzen Kumpels war deutlich älter und größer. Aber weder er noch mein Kumpel zuckten auch nur mit der Wimper. Sie hatten es deutlich gehört, aber in einer Mischung aus Erfahrung und Resignation einfach ignoriert.
    Mir war klar, wenn ich jetzt bewusst den Ball nicht zu meinem Mitspieler, sondern zu den beiden spiele, dann bin ich ein Held. Dann lebe ich meine Überzeugung:
    »All men are created equal«, alle Menschen sind gleich erschaffen, wie es Thomas Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung formulierte.
    Das wusste ich aus einem Lehrfilm, den wir in »Civics« geschaut hatten.
    Es war der Tag und es war die Stunde, Flagge zu zeigen für Gleichberechtigung.
    Ich habe den Ball zum Oberschichtler geworfen.
    Überzeugungen sind billig, dazu stehen kommt teuer, und ich war die reduzierteste Ware im ganzen Kaufhaus. Ich war doch mit anderen Ansichten aufgewachsen, ich hätte sie da wirklich mal gegen Widerstand leben können. Die Einheimischen waren schließlich von klein auf zugemüllt worden und wussten es zum Teil nicht besser. Ihr Horizont entsprach der Auswahl beim Mittagessen in der Schule. Dort gab es jeden Tag einen Burger mit Pommes oder als Alternative wechselnd Pizza, Chili oder Burritos. Und wer nie seine fettige Pizzaschnitte mit solchen Pommes aß, der kennt Euch nicht, Ihr nährstoffarmen Kräfte. Deshalb sah ich in Pensacola auch zuhauf eine Art Körperbau, die sich hier erst seit Ende der neunziger Jahre verbreitet: ein schlanker, graziler Oberkörper, angebracht am Fahrgestell eines gemästeten Brauereigauls.
    Aber ich lenke ab. Ich hatte im entscheidenden Moment versagt. Kein großes wagnerisches Drama mit schlechtem Ende, eine ganz banale Kleinstadtfeigheit.
    Zwei Wochen später dann machte eine schwere Knieverletzung meinen sportlichen Ambitionen den Garaus. Ich war traurig, aber da einige Tage zuvor, nach einem Wettkampf im schwarzen Viertel der Stadt, der Oberschichtbasketballer durch seine rassistischen Bemerkungen diesmal doch einen Streit angezettelt hatte und unser Bus nach der hastigen und fluchtartigen Abfahrt mit Pflastersteinen beworfen worden war, konnte ich auch die Vorteile der Leistungsunfähigkeit in einer Leistungsgesellschaft sehen.
    Danach zog ich mich zunehmend vor den Fernseher zurück. Während der Vorabendserien konnte ich wahlweise vergessen oder Held sein, auf dem Sofa, ohne andere Menschen. Ich hatte kurzfristig keine Pläne mehr und auch keine Ambitionen. Was soll aus einem Feigling schon werden?
    Einziger Lichtblick im restlichen Jahr war ein kulturelles Ereignis, dem ich mit meinem Vater und meinem Bruder in Mobile in Alabama beiwohnen durfte. Einem Ray-Charles-Konzert, bei dem wir die einzigen weißen Besucher waren. Ein seltsames Gefühl, aber obwohl ich mir innerlich sicher war, dass alle Anwesenden irgendwie von meinem Basketball-GAU wussten, trafen wir doch nur auf erstaunte, befremdete und freundliche Blicke.
     
 
    Gesellschaften sind wohl doch immer vielschichtiger, als man glaubt, auch in Pensacola, soweit man das als Teenager beurteilen kann. Doch wer Bugs Bunny schaut, kann währenddessen zumindest nichts Böses tun.
     

5
     
    informatiker
     
    Mein erster Job. Also: Job mit richtiger Bezahlung, drei Wochen richtige Arbeit, ein Schülerjob. Und sogar auf Lohnsteuerkarte, ein seriös klingendes Wort, das ich vorher gar nicht kannte und das alles noch ernsthafter machte. Bei einer riesigen Firma, deren Name als Synonym für große Unternehmen steht. Dort zu arbeiten galt früher als Verbeamtung, was heute unvorstellbar ist. Und dann war ich auch noch an der Hightech-Front, EDV, wobei der Stand der damaligen Hightech heute ebenso unvorstellbar ist. Die Computer waren beinahe noch analog. Ich saß vor einem schwarzen Bildschirm mit grünen Schriftzeichen oder Zahlen, Grafik gab es nur mit Papier und Malstiften. Der Computer war im Nebenraum, oder besser gesagt, der Computer war der Nebenraum.
    Meine Tätigkeit bestand darin, den von Programmierern auf Papier mit Rotstift korrigierten Programmiercode, was aussah wie eine korrigierte Klassenarbeit, in den Rechner einzugeben. Da man nur die Korrekturen eintippen musste, ging das recht schnell, doch danach musste man es ausdrucken. Ausdrucken dauerte je nach Uhrzeit zwischen einer halben und einer Stunde, nach der man dann den Ausdruck im Nebengebäude abholen konnte.

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