Und weg bist du (German Edition)
Angst, stehen zu bleiben. Ohne auf den Weg zu achten, rannte ich weiter.
Die Wirklichkeit verschwamm und ich hatte das Gefühl, inmitten einer brodelnden See auf einem winzigen, schmelzenden Eisberg zu sitzen. Irgendwann fand ich mich abermals zusammengekauert und zitternd in dem überdachten Eingang des Kunstbedarfgeschäftes wieder.
Ein Martinshorn wurde immer lauter und ein Polizeiwagen sauste mit Blaulicht vorbei. Als es in meinen Hirnwindungen schließlich wieder zu arbeiten begann, wurde mir bewusst, dass ich weiterlaufen musste.
sieben
STALKER
Sobald ich mich vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, schlüpfte ich aus dem Schatten des Hauseingangs hervor und begann erneut zu rennen. Lange hielt ich jedoch nicht durch. Von Erschöpfung übermannt schaffte ich es gerade noch, langsam zu gehen. Ziellos schleppte ich mich durch die Straßen. Obgleich mir anscheinend niemand folgte, ließen mich mehrfach harmlose Umrisse im Dunkeln zusammenzucken. Häuserzeilen und Geschäfte verschwammen vor meinen Augen. Der regenlose Sturm hatte sich vollends gelegt und die grauen Wolken vor dem schwarzen Himmel wurden immer dünner. Die Luft war kalt. Ich trug ein langärmeliges Shirt, aber keine Jacke und rieb mir die Arme. Dabei stöhnte ich vor Schmerzen laut auf.
Nach einer Weile geriet ich in eine belebtere Gegend. Hier herrschte mehr Verkehr und viele Fußgänger waren auf dem Weg in eines der zahlreichen Geschäfte oder Restaurants. Einige der Läden kamen mir bekannt vor und bald merkte ich, dass ich mich in der Factory Street befand. Wie ferngesteuert bewegte ich mich auf die Pizzeria Soluris zu, erfreut, dass es das Restaurant noch gab. Als ich eintrat, schlug mir der herzhafte Geruch von Pizza entgegen.
Ich begab mich direkt auf die Damentoilette. Das junge Mädchen, das mir dort aus dem Spiegel entgegenschaute, hatte einen verängstigten Blick und ein zerkratztes, schmutziges Gesicht. Die Flucht übers Dach hatte mehr Schaden angerichtet, als ich erwartet hätte. Über meine gesamte Wange zog sich eine lange, hässliche Schürfwunde. Ich ließ das Wasser laufen, bis es warm wurde, und wusch die Wunden dann behutsam aus. Dabei verzog ich das Gesicht, weil es so brannte. Anschließend tupfte ich mir die Haut mit einem Papiertuch ab. Auch wenn die Schrammen jetzt schlimmer aussahen als vorher, war zumindest der größte Teil des Schmutzes entfernt.
Jemand versuchte von draußen die Tür zu öffnen und ich fuhr zusammen. Schnell glättete ich noch mein zerzaustes Haar, war aber nicht sehr erfolgreich damit. Als ich die Toilette verließ, stand eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter davor. Eilig huschte ich in eine dunkle, schlecht beleuchtete Ecke der Pizzeria. Das Restaurant war gut besucht, hauptsächlich von Paaren, aber auch einige Familien aßen hier. Ich beneidete sie um ihre Gesellschaft und um ihre Pizza. Ich wünschte, ich hätte noch mehr als zwei Dollar von dem Geld übrig, das Noah mir gegeben hatte, doch das meiste hatte ich fürs Taxi und im Internetcafé ausgegeben. Eine Kellnerin mit kurzem, schwarzem Haar kam auf mich zu und ich bestellte eine heiße Schokolade mit Zimt, die Spezialität des Hauses, die ich mir gerade noch leisten konnte.
Wie oft waren Jack, Noah und ich nach einem Büchereibesuch oder wenn wir Besorgungen für Hazel machten, hier gewesen? Pizza mochten mein Bruder und ich schon immer besonders gern, aber bei Melody hatte es nur selten welche gegeben. Sie war immer sehr darauf bedacht gewesen, was sie aß, um in ihre engen Jeans zu passen. Deshalb hatten Jack und ich immer sofort zugeschlagen, wenn sich uns die Gelegenheit bot, Pizza zu essen.
Ich weiß noch, wie wir in genau dieser Ecke gesessen und lachend die Papierverpackung von den Strohhalmen geblasen haben. Meine traf Noah mitten auf die Stirn und wir haben alle lauthals gelacht. An jenem Tag waren wir drei sehr aufgeregt gewesen, da eine ortsansässige Firma Seale House kurz zuvor zwei Computer gestiftet hatte. Darauf waren keine Spiele installiert, nur Betriebssysteme und einige einfache Textverarbeitungsprogramme. Und Hazel wäre es natürlich nie in den Sinn gekommen, Geld für Softwareprogramme oder einen Internetzugang auszugeben, so dass man nicht allzu viel mit ihnen anfangen konnte. Die meisten anderen verloren schnell das Interesse daran, wir jedoch hatten beschlossen Programmieren zu lernen. An jenem Tag hatten wir im Internet in der Bücherei zu dem Thema recherchiert und uns einige entsprechende
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