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Und weg bist du (German Edition)

Und weg bist du (German Edition)

Titel: Und weg bist du (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Kae Myers
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du nicht mehr, dass er uns mit seinen Hinweisen auch früher schon immer kreuz und quer durch die Gegend geschickt hat?«
    Missmutig schob er die Hände in die Taschen. »Das ist lächerlich! Und was sollen wir in der Bücherei dann tun?«
    »Na, ein Buch von einem gewissen Theodore Hall finden, was glaubst du denn?«
    Noah blickte finster drein und presste die Lippen aufeinander.
    »Bitte sei nicht böse.«
    Kopfschüttelnd antwortete er mit einem Seufzer: »Lass uns erst einmal hier rausgehen, okay?« Dann nahm er mich am Arm und führte mich zur Treppe. Unwillkürlich senkte ich den Blick und schaute auf seine langen Finger, die wie selbstverständlich zu meiner Hand rutschten und dann locker meine Finger umschlossen. Auch wenn Noah diese Geste kaum als Berührung wahrzunehmen schien, musste ich doch daran denken, wie aufgeregt die zwölfjährige Jocey gewesen wäre.
    Vor dem Haupteingang begegneten wir einer Gruppe tibetanischer Mönche in orangefarbenen Gewändern. Erst an dem großen schmiedeeisernen Tor schaute Noah auf seine Hand hinab, die meine hielt, und wirkte fast überrascht.
    Während wir an Läden und Cafés vorbeigingen, sahen wir überall die rot-weiße Flagge mit dem Ahornblatt an Balkonen und Fahnenstangen. Die Autos bewegten sich auf der Suche nach Parkplätzen im Schritttempo durch die belebte Straße. Auf dem Gehsteig tummelten sich Touristen und sonstige Passanten. Ein dunkelhäutiger Mann mit einem Sombrero und einem Anzug, der nur aus Reißverschlüssen bestand, erntete einen misstrauischen Blick von einer Frau in einem maßgeschneiderten Kostüm. Wir hörten einen Dudelsack spielen und erblickten in der Ferne den dazugehörigen Musiker mit Schottenrock. Die Leute blieben vor ihm stehen und warfen Münzen in eine Dose.
    Auf einem Blumenmarkt zwischen zwei Straßenecken baumelten Hängetöpfe mit leuchtenden Blüten von den Dächern der Stände. Die Pflanzen wurden gerade mit Gießkannen und Sprühflaschen gegossen und ich nahm den süßen Blumenduft wahr. Ich wünschte, wir könnten länger bleiben und für eine Weile Touristen spielen.
    Nachdem wir wieder im Jeep saßen, brauchten wir mehr als eine halbe Stunde, bis wir Ottawa hinter uns gelassen hatten. Noah war fast die ganze Rückfahrt über schlecht gelaunt, was ich ihm nicht verdenken konnte. Jack hatte schon immer einen Hang dazu gehabt, bei seinen Schnitzeljagden ein wenig zu übertreiben, aber diese war wirklich extrem. Warum musste mein Bruder jedes einzelne Rätsel so kompliziert und aufwendig gestalten? Allerdings nicht unlösbar. Unlösbar waren sie nie.
    Ich versicherte Noah, ich würde ihm Geld fürs Benzin schicken, sobald ich wieder zu Hause wäre, oder Jack würde ihn bezahlen. Doch seine Laune schien sich dadurch nicht zu bessern und er stellte die Musik lauter. Deshalb beschloss ich den Mund zu halten und beobachtete, wie die Sonne hinter den Bäumen verschwand.
    Meine Gedanken kehrten nach Seale House zurück. Sosehr ich dagegen ankämpfte, ein Erlebnis kam immer wieder hoch: mein letzter Abend dort.
    Mit schrillen Tönen und grellen Farben stach diese Nacht aus meiner düsteren Kindheit heraus.
    Das plärrende Radio.
    Die weißen Flocken vor dem Küchenfenster.
    Dixons blau-gelber Schlafanzug.
    Das panische Schreien.
    Das Rot von Hazels zornigem Gesicht.
    Die piepsige Stimme, die ein grässliches Gedicht aufsagte.
    Die Brutale Beth, die zischend Befehle erteilte.
    Fäuste, die gegen die Kellertür hämmerten.
    Die schwere Waffe in meiner Hand und der ohrenbetäubende Knall.
    Noahs hasserfüllte Stimme: »Wenn ich dich je wiedersehe, bringe ich dich um.«
    Ich war erleichtert, als wir schließlich in Watertown ankamen. Wir fuhren die Washington Street hinunter und bogen dann auf den Parkplatz der Flower-Memorial-Bücherei ein. Sie sah noch genauso aus wie fünf Jahre zuvor: ein lang gezogenes elegantes Gebäude mit Marmorfassade, einer achteckigen Kuppel auf dem Dach und vorn eine Reihe Doppelsäulen.
    »Als Jack und ich hier gelebt haben, war das einer meiner Lieblingsorte.«
    Noah antwortete nicht.
    Steif von der langen Fahrt stiegen wir aus dem Jeep aus und gingen die Stufen hinauf. Auf der Tür standen die Öffnungszeiten. »Sie schließen bald«, stellte Noah fest.
    »Wie spät ist es?«
    »20:40.«
    Wir eilten direkt auf die Computer zu und setzten uns. Ich rief den Bibliotheks-Katalog auf und suchte nach dem Autor Theodore Hall. Eine lange Liste mit dem Nachnamen Hall erschien, aber ein Theodore war nicht

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