Und weg bist du (German Edition)
unbeobachtet fühlte, hob sie den Kopf und sah mich aus tränenlosen Augen – den Blick verengt – böse an.
Zitternd stand ich auf und näherte mich langsam den Polizisten. »Sie lügt. Es ist ihr vollkommen egal, ob Edgar tot ist, abgesehen davon, dass ihr das Geld fehlen wird, das sie für ihn bekam. Sie hat ihn dauernd im Keller eingesperrt. Wir alle mussten hin und wieder dort runter, wenn sie wütend war.«
Der ältere Polizist wandte sich Hazel zu und sie blickte mit untröstlicher Miene zu ihm auf. »Jocelyn steht im Moment neben sich. Sie ist vollkommen verwirrt, weil sie die Misshandlung verarbeiten muss, die sie erfahren hat, bevor sie herkam.«
Mit Abscheu sah ich sie an, obwohl ich wusste, dass die Polizisten ihr dadurch erst recht glauben würden. »Sie nimmt Drogen! Wenn Sie in ihrem Zimmer nachsehen, werden Sie Marihuana und wahrscheinlich auch Kokain finden.«
»Ganz ruhig, junges Fräulein«, erwiderte der Polizist. »Ms Frey arbeitet schon lange mit Pflegekindern. Sie hat einen sehr guten Ruf. Das weiß ich, weil ich es war, der den Jungen, Edgar, unter einer Unterführung schlafend aufgelesen hat. Wie eine wilde Katze hat er sich gewehrt. Ich weiß, welcher Herkulesaufgabe sie sich mit ihm gestellt hat.« Voller Mitgefühl musterte er ihre Bissabdrücke und Kratzer.
Hazel lächelte ihn mit dem Blick einer Heiligen an, der bei ihr so fremd wirkte, als wären ihr plötzlich Fühler und Fangarme gewachsen. Ich konnte es kaum fassen, doch so war die Realität von Pflegekindern. Wir waren Problemfälle mit einer schwierigen Vergangenheit und daher würde uns nie jemand glauben.
Der jüngere Polizist beendete sein Telefonat. »Sie schicken einen Gerichtsmediziner.«
Ich starrte auf seine Waffe und sah, dass das Halfter nicht geschlossen war. Plötzlich hatte ich eine verrückte Idee. Im selben Moment drang aus dem vorderen Raum ein Brüllen herüber, das nach Beth klang, gefolgt vom Schluchzen der kleineren Kinder. Als sich der Polizist in diese Richtung wandte, griff ich schnell nach der Pistole und machte einige Schritte rückwärts. Er fluchte, als ich sie auf ihn richtete.
Sein älterer Kollege streckte beruhigend die Hände nach mir aus. »Gib mir die Waffe, Mädchen.«
»Das werde ich tun, aber zuerst gehen Sie in ihr Zimmer. Schauen Sie dort in der Schublade des kleinen Tisches mit der beschädigten Platte nach. Mit Sicherheit finden Sie darin Drogen. Dann wissen Sie, dass ich die Wahrheit sage!«
Der Lärm im vorderen Raum wurde lauter und kurze Zeit später kamen Noah und Jack in die Küche gestürmt. »Jocey!«, rief Jack erschrocken. »Was machst du da?«
»Hazel wollte Dixon in den Keller schicken! Stattdessen habe ich sie dort runtergeschickt und es ist zu einer Auseinandersetzung mit Edgar gekommen. Sie hat ihn umgebracht.«
»Nein, nein!«, flehte Hazel die Polizisten an. »Der Junge ist die Treppe runtergefallen und hat sich das Genick gebrochen. Nie im Leben würde ich einem meiner Kinder etwas antun.«
»Gib mir sofort die Pistole«, forderte der ältere Polizist.
»Schauen Sie erst in ihrem Zimmer nach!« In meinem Innern flatterte die Panik wie eine in einem Glas gefangene Motte. Dennoch hielt ich die Waffe fest in beiden Händen. Das kalte Metall schien mir die Kraft zu geben, standhaft zu bleiben.
»Wir prüfen es«, versprach er. »Aber zuerst gibst du uns die Pistole oder du kannst dich auf eine Menge Schwierigkeiten gefasst machen.«
»In Schwierigkeiten bin ich ohnehin schon.«
»Hör zu, ich gebe dir mein Wort, dass wir das Zimmer durchsuchen, aber ich kann dich unmöglich mit der Pistole hier zurücklassen.«
Mir wurde bewusst, dass er Recht hatte, nickte kurz und ließ die Waffe langsam sinken. Sofort sprang der jüngere Beamte vor und griff danach. Darauf geriet ich in Panik und zog sie zurück. Mit einem lauten Knall, der mir in den Ohren schmerzte, feuerte sie ab. Ich ließ die Pistole fallen und taumelte rückwärts. Dabei beobachtete ich mit Schrecken, wie sich der Ärger auf dem Gesicht des Polizisten in Schock verwandelte. Er griff sich unterhalb der Schulter an den Arm und Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor, wo die Kugel ihn gestreift hatte. Sein Kollege hob die Waffe vom Boden auf.
Was danach geschah, nahm ich nur noch verschwommen wahr, bis ich mich schließlich zusammen mit den anderen Pflegekindern in dem vorderen Raum wiederfand. Die Sozialarbeiter, die die Polizei gerufen hatte, hielten uns dort zusammen. Trotz meiner
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