Und weg bist du (German Edition)
nahm den Teller, den Beth mir reichte, und trocknete ihn ab. Zu gern hätte ich mit Jack und Noah die Besorgungen erledigt. Immer häufiger stellte ich mir die Frage, wie lange das Leben in diesem Haus noch weitergehen konnte, ohne dass etwas Schreckliches passierte. Erst am Morgen hatte Georgie abermals versucht die Vorhänge in Brand zu setzen, doch die Flammen waren von selbst erloschen. Ich hatte dennoch mit ihm geschimpft. Zwei Nächte zuvor war ich aus einem meiner Albträume erwacht und merkte, dass ich vor der Schlafzimmerwand stand und sie befühlte. Sie schien unter meinen Handflächen zu pulsieren wie ein lebender Organismus. Ich hatte Angst, das Pulsieren würde mich verschlucken wie das Blob in dem alten Horrorfilm. All diese unheimlichen Begebenheiten gingen seltsamerweise damit einher, dass Hazel immer unruhiger wurde und Eckzahn immer verschrobener.
Nachdem Edgar lauthals verkündet hatte, dass es ihm im Keller gefalle, machte er aus der Lüge tatsächlich Realität. Bald verbrachte er jede freie Minute dort unten. Wenn Hazel ihn zwang heraufzukommen, zerstörte er absichtlich etwas oder schlug eins der kleineren Kinder, um wieder hinuntergeschickt zu werden. Nachts schlich er sich in das eigenartige Nest, das er sich unter der Treppe aus Lumpen und alten Decken gebaut hatte. Manchmal vergaß Hazel ihn dort unten und er verpasste den Schulbus. Wir erinnerten sie absichtlich nicht daran, da Eckzahn in der Schule ohnehin nur Probleme bereitete. Auch für uns war es eine Erleichterung, ihn nicht ständig um uns zu haben. Wenn wir nach Hause kamen, wartete dann jedoch gleich wieder eine Herausforderung auf uns. Wir alle achteten peinlichst genau darauf, was wir sagten und taten, um ihn bloß nicht zu verärgern und kein Risiko einzugehen, in sein unterirdisches Reich geschickt zu werden.
Noah sprach mehrfach mit Hazel über Edgar, doch nichts änderte sich. Einst hatte sie so sehr auf Regeln gepocht, doch inzwischen schien sie jegliche Willenskraft verloren zu haben. Wir vermuteten, dass es am Drogenkonsum lag. Entweder verschafften ihr mittlerweile weder das Marihuana noch das gelegentliche Sniffen von Kokain mehr die Flucht in eine andere Welt oder es gab ein Problem mit ihrem Dealer. Wir wussten es nicht und konnten dieses Thema auch nicht ansprechen, ohne uns großen Ärger einzuhandeln. Auf jeden Fall schien es sie nicht so sehr wie früher zu kümmern, was wir taten, solange wir ihr nicht gerade direkt vor die Füße liefen. Dann flippte sie allerdings total aus.
Sich mit Edgar auseinanderzusetzen verweigerte sie einfach. Sie war der Meinung, dass er ruhig im Keller leben sollte, wenn er wollte.
Das Radio spielte inzwischen nicht mehr die Beatles, sondern ein Surf-Lied der Beach Boys, das im November unpassend wirkte. Ich hielt inne und blickte aus dem Fenster. Der Himmel war in der Dämmerung violett gefärbt und die Schneeflocken dekorierten die schwarzen Bäume mit einer Spitzenborte. Beth hatte alle Messer abgewaschen und ich trocknete sie ab. Ich hatte gerade das Fleischmesser in den Messerblock zurückgeschoben und das lange Gemüsemesser in die Hand genommen, als ich einen panischen Schrei hörte. Ausgestoßen hatte ihn Dixon, der in dem Moment um die Ecke auf mich zugeschossen kam. In seinem blau-gelben Schlafanzug rutschte er auf dünnen Socken über den Fußboden. Ich legte das Messer auf dem Tisch ab und blickte in sein verängstigtes Gesicht.
»Was ist denn los?«
Er schlang seine Arme um meine Taille und klammerte sich an mich, als Hazel in den Raum gestürmt kam. Sie griff nach seinem kleinen, dünnen Arm. »Du wirst es doch wohl nicht wagen, vor mir wegzulaufen, du ungezogener Bengel?«
Dixon hielt sich verzweifelt an mir fest, doch sie riss so fest an seinem Arm, dass er schließlich losließ und vor Schmerzen aufschrie. »Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr im Haus nicht rennen sollt? Jetzt hast du die Lampe kaputt gemacht und mir reicht es!«
Sie zerrte ihn zur Kellertür. Er begann zu schluchzen und zwischen seinen Beinen bildete sich ein dunkler Fleck, was Hazel noch wütender machte. Ich ließ das Geschirrtuch sinken und griff nach seinem anderen Arm. »Hazel, bitte nicht! Bring ihn nicht nach unten!«
Ihr hässliches Gesicht wurde rot vor Wut. »Wie kannst du es wagen!«
Noch nie hatte ich sie derart außer Kontrolle gesehen und hoffte inständig, dass Noah und Jack zurückkommen würden. Ihre Stimme nahm einen bedrohlichen Ton an, als sie befahl: »Lass …
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