...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
eine Assistentin, die sicher dafür sorgen könnte, dass ein Drucker aus einem der Büros behelfsweise hergebracht wird . Tanja griff zum Telefon, wählte Michaelas Zimmernummer und erklärte ihr, was sie brauchte. Zehn Minuten später klopfte es, und Michaela stand mit einem Drucker samt Zubehör in der einen und einer Packung Papier in der anderen Hand in der Tür. Sie schloss das Gerät an Tanjas Laptop an, installierte die Treibersoftware, und im Nu schoben sich bedruckte Blätter heraus.
Tanja dankte ihr mit einem Kopfnicken und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
»Kann ich dir helfen?« fragte Michaela.
Tanja schüttelte leicht den Kopf. Sie sah dabei nicht einmal auf. Michaela blieb dennoch neben ihr stehen. »Bist du sicher?«
Nun sah Tanja doch auf. Sie setzte schon zu einer abweisenden Antwort an, Michaela erkannte es an ihrem Gesichtsausdruck, aber plötzlich stockte Tanja. »Also gut.«
Michaela hätte vor Überraschung beinah noch mal gefragt, ob Tanja sicher sei, konnte es gerade noch verhindern, dass ihr die Worte herausrutschten. »Wenn du mir erklärst, was du machst.«
Tanja tat es, während sie sich über sich selbst wunderte. Warum hatte sie Michaela nicht weggeschickt? Sie brauchte dann zwar länger für die Arbeit, doch was spielte das für eine Rolle? Sie hatte den ganzen Tag Zeit.
Aber plötzlich hatte sie die Vorstellung, den ganzen Tag allein im Zimmer mit diesen Zahlen zu verbringen, irgendwie ermüdet.
So kam es, dass Tanja wenig später Michaela Zahlen zurief, welche diese in das Laptop schrieb. Nach zwei Stunden fühlte Tanja, dass ihr Mund ausgetrocknet war. »Ich brauche einen Kaffee«, sagte sie.
»Ich hole welchen«, bot Michaela pflichtbeflissen an.
»Nein.« Tanja winkte ab. »Schon gut. Ich . . . lass uns in ein Café gehen.« Michaelas Erstaunen ignorierte sie.
Sie fragten an der Rezeption, und die Dame beschrieb ihnen den Weg zu einem kleinen Restaurant ganz in der Nähe. Es dauerte wirklich nur fünf Minuten, dann waren sie da. Die Bedienung kam sofort, und sie bestellten Cappuccino.
Während sie warteten, schwieg Tanja. Michaela, immer noch verwundert über Tanjas unerwartete Geselligkeit, hielt es für das klügste, es ihr gleich zu tun und schwieg ebenfalls.
»Wie hast du das gemeint?« brach Tanja schließlich die Stille zwischen ihnen.
»Was?« fragte Michaela irritiert.
»Dass ich nicht über meine Fehler nachdenken will. Was meintest du damit?«
Michaela staunte nicht wenig. Tanja nahm sich ihre Worte vom gestrigen Abend offenbar zu Herzen, knabberte augenscheinlich immer noch daran. »Willst du das wirklich hören? Du wirst wieder wütend werden.«
»Nun sag schon«, forderte Tanja unwirsch.
Michaela suchte nach Worten, die Tanja nicht sofort auf die Palme bringen würden. »Es ist nicht einfach, mit jemandem auszukommen, der in allen Dingen so absolut ist wie du. Schwarz oder weiß, keine Nuancen dazwischen. So funktioniert das Leben nicht«, begann sie vorsichtig.
»Ist es ein Fehler, eine Meinung zu haben?« begehrte Tanja auch gleich auf. »Zu wissen, was man will und was nicht?«
»Nein«, besänftigte Michaela sie mit ruhiger Stimme. »Nur kannst du nicht von allen anderen erwarten, dass sie dich verstehen. Erst recht nicht, wenn deine Gründe in der Hauptsache emotional sind. Das wirkt oft trotzig und unreif.«
Die Kellnerin brachte zwei Cappuccino. Michaela rührte vorsichtig in ihrer Tasse, sprach leise weiter. »Du hast recht, wenn du sagst, dein Vater und ich haben dich ziemlich übel hintergangen. Aber uns deshalb für die Ewigkeit zu verachten, ist keine Lösung. Du hast offenbar beschlossen, deinem Vater das Leben schwerzumachen und mich auch noch dazu zu benutzen. Eine schöne Retourkutsche, aber dir entgeht dabei völlig, dass dieses Verhalten auch nicht gerade sehr anständig ist.«
»Du hättest recht, wenn es so wäre, wie du sagst. Aber du irrst dich«, versicherte Tanja. Ähnliches hatte Michaela ja schon einmal gesagt. »Die Beachtung, die ich den Bilanzen, den Zahlen und all dem widme, ist nicht irgendeiner Rache geschuldet, sondern echtes Interesse.«
»Bist du sicher? Ist da nicht auch ein wenig Trotz mit dabei? ›Jetzt werde ich es euch zeigen. Ihr wolltet es ja nicht anders!‹«
Tanja senkte den Blick. Wenn sie ganz ehrlich war, konnte sie nicht leugnen, dass da was dran war. Aber das war ganz sicher nicht ihr eigentliches Motiv.
»Wer kann es dir verdenken?« sagte Michaela. »Du hast alles Recht der Welt, so zu denken.
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