Und wenn es die Chance deines Lebens ist
bisher noch nicht saß, würde sie ihn nun bitten, Platz zu nehmen, und fortfahren. Sie habe beschlossen, (am Wochenende!) zu dem Krankenhaus in Pontoise zu fahren, dem letzten Aufenthaltsort von Fabrice Nile. Dort musste sie feststellen, dass es eine Verbindung zwischen Fabrice Nile und Ernest Villiers gab. Monsieur Villiers werde derzeit in dem Krankenhaus stationär behandelt. Die Ärzte, mit denen sie gesprochen habe, ließen ihm zwar die beste Behandlung angedeihen, aber sein Gesundheitszustand sei leider kritisch. Und er habe (an dieser Stelle würde sie die Stimme senken) nur noch kurze Zeit zu leben. In diesem Augenblick würde Pétronille ihre Hand auf die des Anwalts legen.
»Frédéric, ich weiß, dass dieser Mann Ihr Vater ist. Es tut mir sehr leid.«
Sie würde seine Reaktion abwarten und ihn mithilfe der ihr angeborenen Sanftmut überzeugen, seinen Vater ein letztes Mal zu besuchen. Durch diese Geste würde er dazu beitragen, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Pétronille war schon im Pyjama, als sie ein großes weißes Blatt zur Hand nahm. Auch sie hatte das Recht auf eine Schatzkarte. Zuerst schnitt sie aus einem Exemplar der Zeitschrift Kochen + Backen Windbeutel aus. Auch die naive Darstellung einer kleinen Dorfbäckerei schnitt sie aus. Pétronille zeichnete den Eiffelturm. Bei dem Gedanken, dass sie nicht die geringste Lust verspürte, Symbole einer brillanten Juristenkarriere oder Strände der Seychellen zumalen, musste sie lächeln. Im Internet fand sie ein Foto, auf dem ein Model ihr blaues Kleid in Größe 36 trug, und druckte es aus. Sie träumte weiter und klebte das pastellfarbene Bild eines kleinen Babyfußes auf das Blatt.
Sie betrachtete ihre Collage. Dann suchte sie in einem Kochbuch für Schokoladendesserts und -kuchen einen aus einer Zeitschrift herausgerissenen Artikel heraus, den sie zwischen den Seiten versteckt hatte: Marcia Gärtener und Frédéric Solis trennen sich . Pétronille schnitt Frédérics Foto aus und legte es in die Mitte ihrer Schatzkarte.
Sie klebte es jedoch nicht fest.
Als Jamel aus der Dusche heraustrat, duftete er nach Pampelmuse. Er hatte irgendwo gelesen, Zitrusdüfte würden die Produktion des Glückshormons Serotonin anregen. Kurzerhand hatte er daraufhin sämtliche Pariser Geschäfte nach Duschgels und Badesalzen durchforstet, in denen Extrakte aus Bio-Pampelmusen verarbeitet worden waren. Das sah ihm ähnlich. Fröhlich pfeifend nahm er einen frischen Pyjama aus dem Schlafzimmerkleiderschrank. Als er ihn auseinanderfaltete, hörte er das Klingeln seines Handys. Jamels Freunde riefen oft zu später Stunde an, und jetzt war es schließlich auch erst Viertel nach elf. Hinkend durchquerte er seine große Wohnung: Bücherregale vom Boden bis zur Decke, eine gemütliche Sitzecke mit einem großen Tisch mit vielen Stühlen drumherum und zwei große Sofas, auf denen überall Kissen lagen. Die Fenster der vierten und obersten Etage des Hauses in der Villa de Saxe 25 im 7. Arrondissement gewährten einen Blick auf den kleinen gepflegten Garten des Klosters, das nebenan lag. Die anderen Etagen gehörten ihm ebenfalls. Jamel vermietete sie weit unter den in diesem Viertel üblichen hohen Mietpreisen an Freunde.
Er setzte sich auf eines der Sofas und hörte die Nachricht ab.
»Hallo, Jamel. Hier ist Frédéric Solis ... hm ... der Anwalt. Ich rufe an, weil ich ... hm ... weil mir Fabrice Nile tatsächlich noch andere Dinge hinterlassen hat. Im Zug wollte ich nicht mit Ihnen darüber sprechen, weil ... wie soll ich sagen ... weil ich mir nicht sicher war ... Jedenfalls bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, wenn wir uns gegenseitig vertrauen. Unter anderem habe ich eine Fahrkarte für eine Bootstour am Dienstag mit Abfahrt in Vétheuil, im Département Val-d’Oise, bekommen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich begleiten. Vielleicht haben Sie ja Zeit. Ich lade Sie selbstverständlich ein. Die anderen Dinge, die Fabrice mir hinterlassen hat, bringe ich mit, dann können Sie mir sagen, was Sie davon halten. Okay. Hier ist meine Handynummer. Rufen Sie mich doch an, dann können wir uns verabreden. Vielen Dank und einen schönen Abend.«
Jamel lächelte. Er starrte an die Decke und blieb eine ganze Weile so ausgestreckt auf dem weichen Sofa liegen. Ja, das hatte er gut gemacht. Es würde funktionieren. Plötzlich sah er Fabrice’ Lächeln wieder vor Augen. Fabrice fehlte ihm wirklich sehr.
»Du Armer. Ich hoffe, es geht dir gut da, wo du
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