Und wenn es die Chance deines Lebens ist
gespielt haben? Oder vielleicht sind Bertrand, Gilles und Maurice letztendlich auch unsere Könige. Und der Joker, der größte Fantast und Träumer, das warst immer du. Das sind wir alle auf dieser Schatzkarte, Jamel. Das ist das Krankenhaus. Das auf der Schatzkarte ist seine Gegenwart. Fabrice hatte aufgehört, seine Träume zu zeichnen. Er hatte Frieden mit dem Leben geschlossen und Frieden mit seinen Sehnsüchten und auch mit seinen Träumen. Und auch ich habe Frieden geschlossen, Jamel.«
Die Blicke der beiden Männer trafen sich, und Jamel musste sich sehr zusammennehmen. Seine Augen wollten keine Tränen vergießen, und sein Herz wehrte sich gegen den Abschied. Nicht jetzt. Und nicht solange ein Sohn glaubte, sein Vater – das Beste, was einem passieren konnte – sei ein Taugenichts.
Während Ernest auf den Schnee draußen starrte, sah Jamel eine letzte Chance. Die allerletzte.
Pétronille war wieder zu Hause und saß im Schlafanzug vor dem Computer. Vor 20 Minuten hatte sie mit Jamel gesprochen und anschließend Dorothée um Rat gefragt. Sie hatte nach Jamels Diktat eine Mail an Frédéric geschrieben und musste jetzt nur noch auf »Senden« klicken, doch sie zögerte. Sollte sie es wirklich tun? War es richtig, Schicksal zu spielen? Jamel hatte sie nicht unter Druck gesetzt, sondern klar und deutlich gesagt, sie solle es nur tun, wenn sie überzeugt sei, dass sie es später nicht bereuen würde. Er versicherte ihr, in der Mail stünden keine Lügen. Sie glaubte ihm, aber ... Der Cursor huschte kurz über den Button, ohne dass sie ihn anklickte. Pétronille las die Mail zum 20. Mal durch.
Lieber Frédéric,
ich schreibe Ihnen, weil ich im Besitz von Informationen über Fabrice Nile bin. Sie kommen etwas spät, aber vielleicht sind sie Ihnen dennoch von Nutzen.
Obwohl Fabrice Nile bei der Sozialversicherung als Obdachloser geführt wurde, hat er offenbar zwischen 1995 und 2012 mit Unterbrechungen in der Villa de Saxe 25, Paris 75007, gewohnt. Interessant ist, dass auch ein gewisser Simon O ffenbach dort gewohnt hat. Monsieur Offenbach, ein Amerikaner, erscheint auf vielen Webseiten als einer der ersten Förderer der Monet-Stiftung in Giverny. Seine Familie in New York besaß bis in die Vierzigerjahre mehrere Gemälde des Malers. Es sieht so aus, als hätten Monsieur Nile und Monsieur Offenbach von 1995 bis 2001 (Todesjahr von Monsieur Offenbach) zusammengewohnt. Ich habe es überprüft. Es handelt sich um eine einzige Wohnung in einem Stadtpalais und nicht um zwei getrennte Wohnungen. Sie finden als Anlage eine Rechnung auf den Namen Fabrice Nile und mehrere Artikel über Simon Offenbach.
Ich möchte mich noch einmal für das hervorragende Zeugnis bedanken, das Sie mir freundlicherweise ausgestellt haben, und wünsche Ihnen alles Gute.
Herzliche Grüße
Pétronille
Pétronille wartete noch einen Moment. Sie lief durch die Wohnung, schaute auf ihre Schatzkarte und klickte dann auf »Senden«.
Auf der anderen Seite von Paris öffnete Frédéric seinen E-Mail-Account. Die Adresse: Villa de Saxe 25, 75007 Paris, sprang ihm ins Auge. Das war die Adresse, an die er den ungeöffneten Brief zurückgeschickt hatte, den sein Vater ihm vor 17 Jahren geschrieben hatte.
Jamel saß in seinem Wagen und war auf dem Weg zum Musée d’Orsay. Er stand im Stau. Im Radio meldeten sie, dass die Pariser Ringautobahn wegen des unaufhörlichen Schneefalls verstopft war. Seit über hundert Jahren hatte es nicht mehr so stark geschneit. Doch Jamel hörte gar nicht hin. Er war mit seinen Gedanken bei Ernest. Ernest, den die Schmerzen lähmten und der ihn ins Musée d’Orsay begleiten wollte, nachdem er erfahren hatte, dass Jamel trotz des schlechten Wetters dorthin fahren würde. Natürlich hatte er sich Ernests Wunsch widersetzt. Ernest war kaum in der Lage, bis zu seiner Zimmertür zu gehen, und daher stand ein Besuch des Musée d’Orsay nicht zur Diskussion. Jamel fragte Gilles nach seiner Meinung, doch der fand, sie sollten Ernest seinen Wunsch erfüllen. Es sei doch wohl besser, im Musée d’Orsay zu sterben als in einem Krankenhausbett. Empört sprach Gilles über lebensverlängernde Therapie um jeden Preis. Jamel biss die Zähne zusammen und erklärte Gilles in aller Deutlichkeit, was er von seinem Vorschlag hielt. In Wahrheit ging es ihm jedoch darum, Ernest diese letzte Enttäuschung zu ersparen. Schließlich wusste Jamel gar nicht, ob Frédéric überhaupt kommen würde.
Besonders traurig stimmte ihn, was
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