Und wenn wir fliehen (German Edition)
Fuß auf meinem Körper. Ich hatte schon seit Wochen nicht mehr geduscht, seit das Filtersystem auf der Insel seinen Geist aufgegeben hatte. Ich hatte ganz vergessen, was für ein herrliches Gefühl das war: das spritzende Wasser auf meiner Haut, der glitschige Seifenschaum unter den Händen, die Leichtigkeit von quietschsauberem Haar.
Als ich mich selbst gründlich bearbeitet hatte, ging ich zu Meredith und half ihr, den Schaum aus ihren dicken Haaren zu spülen. Dann untersuchte ich ihre verletzte Handfläche. Über der Wunde hatte sich Schorf gebildet, der sich an den Rändern schon abzulösen begann. Keine Infektion.
»Du hast ganz prima darauf aufgepasst«, lobte ich. Sie hielt ihr Gesicht kurz in den Duschstrahl und lächelte.
»Müssen wir wirklich gleich wieder von hier fort?«, fragte sie, als wir uns abtrockneten. »Vielleicht kann Tobias ja auch von hier aus jemanden mit seinem Funkgerät anrufen, und sie kommen den Impfstoff bei uns abholen?«
Mir wurde ganz eng in der Brust. Ich konnte ihr kaum vorwerfen, dass sie sich Hoffnungen machte. »Ich wünschte, das könnte er, Mere, glaub mir«, antwortete ich. »Aber ich weiß nicht, ob überhaupt noch irgendwer versucht, Kontakt über Funk aufzunehmen. Weiterzugehen ist das Beste, was wir tun können.« Als ich meine gammeligen Reiseklamotten wieder anzog, rümpfte ich unwillkürlich die Nase. Wir waren Tobias’ Ratschlag gefolgt und hatten unterwegs jeden Abend etwas geschmolzenen Schnee benutzt, um uns damit notdürftig abzuwaschen und unsere Unterwäsche auszuspülen. Sie war also nicht direkt eklig, aber wirklich sauber war sie auch nicht.
»Schon klar«, erwiderte Meredith, warf aber noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Duschen, bevor wir nach draußen gingen. Sie musste eigentlich nicht fort, wurde mir da klar. Wenn wir Hilary fragten, ob sie sie vielleicht aufnehmen würde …
Konnte ich sie bei völlig Fremden zurücklassen? Hilary mochte ja einen netten Eindruck machen, aber ich kannte sie gerade mal seit einer halben Stunde.
Leo wartete schon im Zimmer mit den Handtüchern auf uns. »Fertig zum Abmarsch?«, fragte er, und verkroch sich in seiner Jacke. Ich überlegte, ob er wohl glaubte, dass wir diesen Leuten hier vertrauen konnten.
»Wir sollten unser Frühstück mit rüber in die Quarantänehütte nehmen und gemeinsam mit Gav und Tobias essen«, sagte ich, als wir nach draußen traten, »damit sie nicht das Gefühl haben, wir hätten sie vergessen.«
Halb liefen, halb schlitterten wir über den vereisten Untergrund auf die andere Seite des Gebäudes, wo wir beinahe in Justin hineingerutscht wären, als wir um die Ecke bogen. Ich stütze mich an der Wand ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Hey«, begrüßte Justin uns mit leiser Stimme. »Stimmt es, dass ihr euch heute wieder auf die Socken macht, um jemanden aufzutreiben, der euren Impfstoff klont?«
»Das ist der Plan«, antwortete ich.
Er öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen, doch da beugte Hilary sich hinter ihm aus der Tür. »Da seid ihr ja«, sagte sie. »Kommt rein. Ihr müsst am Verhungern sein. Justin hat euren Freunden schon etwas gebracht.«
»Ich hab mich nur ein bisschen mit ihnen unterhalten«, sagte Justin zu seiner Mutter.
»Ihr könnt doch drinnen weiterreden, wo es warm ist, oder?«, fragte sie.
Er seufzte, folgte uns jedoch ohne einen weiteren Kommentar hinein.
Wir betraten einen großen Raum mit den gleichen holzverkleideten Wänden wie in der Quarantänehütte. Mehrere rustikale Picknicktische waren auf dem gefliesten Boden aufgereiht. Zwei ältere Pärchen saßen an einem davon und unterhielten sich leise. Aus einer Türöffnung auf der gegenüberliegenden Seite, die vermutlich in die Küche führte, schallte das Geklapper von Geschirr, das gerade gespült wurde. Die Luft war mit einem köstlichen Geruch nach frisch Gebackenem erfüllt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Leo war neben mir verstummt. Ich folgte seinem Blick bis zu einem kleinen dunklen Gegenstand auf einem Sims neben der Küchentür. Ein Lautsprecher, erkannte ich, als eine leise Melodie durch die Stimmen und das Klirren der Teller an meine Ohren drang. Daran angeschlossen war ein kleiner MP3-Player. Ich erinnerte mich noch dunkel, dass sie den Song vor ein paar Jahren häufig im Radio spielten, irgend so ein Sommerhit.
»Den MP3-Player hat eines unserer jüngeren Mitglieder mitgebracht«, sagte Hilary. »Der Lautsprecher war schon hier. Ich kann nicht
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