Und wenn wir fliehen (German Edition)
Hierbleiben. Wenigstens bis das Wetter besser zum Reisen ist. Platz haben sie. Und wir könnten weiter versuchen, über Funk Kontakt mit jemandem aufzunehmen.«
Tobias trat einen Schritt vom Fenster weg. »Wir werfen einfach so das Handtuch?«, fragte er.
»Ich …«, begann ich, völlig überrascht über die Hitzigkeit in seiner Stimme. Er ließ mich nicht weiterreden.
»Die Chancen, so weit draußen im Nirgendwo den Richtigen ans Funkgerät zu kriegen, stehen praktisch gleich null«, fuhr er fort. »Die Leute brauchen den Impfstoff aber jetzt , oder? Deshalb seid ihr doch überhaupt erst von der Insel weg. Bloß weil die eine Stadt sich als Niete erweist, heißt das ja nicht, dass alle anderen auch welche sind.«
»Was kümmert dich das schon?«, fragte Gav. »Noch vor einer Woche wusstest du nicht mal, dass überhaupt ein Impfstoff existiert. Alles, was du wolltest, war, dich auf deinem kleinen Armeestützpunkt zu verstecken und darauf zu warten, dass der Rest der Welt die Sache schon irgendwie hinbiegt.«
Tobias bekam einen roten Kopf. »Okay, das stimmt«, erwiderte er. »Und ich hatte auch sicher nicht vor, mich mit einem Haufen Teenager zusammenzutun. Aber zum ersten Mal in meinem Leben hab ich die Gewissheit, etwas Wichtiges zu machen. Und damit will ich jetzt nicht aufhören – ihr etwa?«
Er klang so entschlossen, dass ich mich schämte, weil ich in Betracht gezogen hatte aufzugeben. Aber er war auch alleine hier, während ich meine Freunde dabeihatte und außerdem an Meredith denken musste.
Wenn er natürlich weitermachen wollte, müsste ich vielleicht die anderen nicht mitschleppen. Vielleicht könnte ich tun, was ich tun musste, ohne dabei ihrer aller Leben zu riskieren.
»Du hast mich nicht ausreden lassen«, entgegnete ich und setzte mich aufrechter hin. »Ich sagte, das ist eine Möglichkeit. Die andere ist weiterzumachen. Ich hab nachgedacht … Lauren sagte, die Regierung wäre vielleicht nach Toronto umgezogen. Das ist die größte Stadt des Landes. Das bedeutet die meisten Krankenhäuser, die meisten Ärzte … die meisten Polizisten, um für Ruhe zu sorgen. Und wenn wir ein Auto auftreiben könnten, ist es gerade mal fünf Stunden weiter als Ottawa.«
Kurzes Schweigen. Dann sagte Leo: »Klingt, als wäre es einen Versuch wert.«
»Toronto«, sagte Gav mit einer Kraftlosigkeit in der Stimme, der man die vielen Hundert Kilometer anhörte, die noch vor uns lagen. Bevor ich etwas antworten konnte, redete Tessa dazwischen.
»Ich komme nicht mit.«
Leos Blick zuckte ruckartig zu ihr. »Was?«
»Ich bleibe hier«, erwiderte sie fest. »Wenn ich mit euch komme, bin ich bloß ein weiteres hungriges Maul, das gefüttert werden muss. Hier kann ich helfen. Die brauchen in der Kolonie jemanden, der sich mit dem Anbau von Obst und Gemüse auskennt, wenn sie es irgendwie schaffen wollen.«
»Warum hast du nicht früher schon was gesagt?«, wollte Leo wissen.
»Ich hab mich gerade erst entschieden, bevor wir alle hierhergekommen sind«, antwortete sie. »Für den Rest von euch macht es doch eigentlich keinen Unterschied, oder?«
Eine Welle der Enttäuschung überrollte Leos Gesicht. »Können wir kurz reden?«, fragte er und stand auf. »Nur wir beide?«
»Ich weiß, dass der Impfstoff dir wichtiger ist als die Kolonie«, sagte Tessa. »Das ist in Ordnung.«
»Können wir vielleicht einfach …?« Er zeigte Richtung Tür. Tessa zögerte einen Moment, erhob sich dann und folgte ihm hinaus. Meredith runzelte die Stirn.
»Wir dürfen uns doch nicht streiten«, sagte sie. »Wir sind doch die Guten.«
Noch kurz zuvor hatte ich in Erwägung gezogen, sie alle zurückzulassen. Aber als die Möglichkeit nun real war, fing mein Magen an zu rotieren. Ich hätte Tessas Entscheidung kommen sehen müssen. Schon von dem Moment an, als sie das Gewächshaus in der Entfernung entdeckte.
Gav zuckte mit den Schultern. »Ist es nicht ihre Sache, ob sie mitkommt oder hierbleibt?«
Ich sah ihn scharf an.
»Du willst im Grunde auch nicht mitkommen.«
Er machte den Mund auf, um ihn gleich wieder zu schließen. » Hier will ich jedenfalls nicht bleiben«, antwortete er und tippte auf den Deckel der Kühlbox. »Und ich weiß, wie wichtig die sind. Aber ich kann verstehen, wie Tessa sich fühlt. Ich war auch den ganzen Weg lang bloß eine zusätzliche Last. Ich weiß nicht, wo ich ein Auto für uns auftreiben soll. Ich hab keine Ahnung, wie ich uns nach Toronto oder sonst wohin bringen kann. Aber das ist egal. Was
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