Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
Vom Netzwerk:
gerade behaupten, dass die Musik meinem Geschmack entspricht, aber etwas anderes haben wir nicht. Wir dachten, für so einen Stimmungsaufheller können wir ruhig ein bisschen Strom verbrauchen. Würdet ihr gerne in der Nähe sitzen?«
    »Nein«, erwiderte Leo und schüttelte sich, als erwache er gerade aus einem Tagtraum. »Es ist – ist schon gut.« Doch als wir den Raum durchquerten, sah ich, wie er sich sanft im Takt bewegte.
    Musik war schon immer sein Leben gewesen. Es musste Wochen, vielleicht Monate her sein, dass er welche gehört hatte. Ich spürte den Drang, seine Hand zu ergreifen und sie ganz fest zu drücken.
    Genau in diesem Augenblick tat es Tessa. Es schnürte mir den Hals zu, und ich wandte mich ab.
    Hilary blieb an einem Tisch stehen, an dem eine Frau saß, die ungefähr Mitte dreißig war. »Ich dachte, ihr würdet sicher gerne mit Lauren sprechen«, sagte sie. »Ihr Mann Kenneth und sie sind das Paar aus Ottawa, von dem ich euch erzählt habe. Justin und ich holen euren Haferbrei, während ihr euch unterhaltet. Ihr wart doch noch bis Dezember dort, stimmt’s Lauren?«
    Die Frau nickte und schob sich die Haare hinter die Ohren. Sie hatte ein verhärmtes Gesicht mit tiefliegenden Augen, was sie fast skelettartig aussehen ließ. »Viel gebracht hat es uns nicht«, antwortete sie.
    Aufregung stieg in mir auf, vertrieb mein ungutes Gefühl. Wenn wir Einzelheiten erfahren könnten, von jemandem, der wirklich dort gelebt hatte, dann würden wir vielleicht ein wenig von der verlorenen Zeit wieder aufholen. »Wahrscheinlich hat Hilary Ihnen schon erzählt, dass wir dorthin unterwegs sind«, sagte ich, während wir uns hinsetzten. »Von wo aus war denn die Regierung tätig, als Sie die Stadt verlassen haben? Müssen wir einfach nur zum Parlamentsgebäude, um jemand Verantwortlichen zu finden?«
    Lauren lachte. »Regierung? Tätig?«
    »Na ja, wir reden doch von der Hauptstadt«, sagte ich. »Da ist doch noch irgendjemand , oder?«
    »Es gab Unruhen auf dem Parlamentshügel, ein paar Wochen bevor Ken und ich weg sind, als es mit der Epidemie richtig schlimm wurde. Gewalttätige Unruhen. Die Leute wurden von den Krankenhäusern abgewiesen, wisst ihr – sie mussten im Freien kampieren, in Zelten auf Parkplätzen und Gehwegen – die Menschen sind auf der Straße gestorben …« Sie schauderte. »Die Randalierer sind gewaltsam eingedrungen. Parlamentsmitglieder und Senatoren wurden erschossen. Die Gebäude zerstört. Danach sind sämtliche Regierungsvertreter, die noch übrig waren, geflohen. Keine Ahnung wohin. Vielleicht nach Toronto. Vielleicht haben sie aber auch alle ihre kleinen Geheimverstecke, so wie wir. Sogar die Soldaten, die die Gebäude gesichert haben, sind verschwunden.
    Mein Herz sank im Sturzflug. »Aber …«
    Sie sah uns über den Tisch hinweg an, ihr Blick verdüsterte sich. »Ich verstehe, dass ihr euch Hoffnungen gemacht habt, und es tut mir sehr leid. Aber Ken hat in der Nähe des Parlamentshügels gearbeitet, und er hat gesehen, wie sie draußen ihre Sachen zusammengepackt haben und abgefahren sind. Ich kann euch versichern, dass in Ottawa niemand mehr ist, der versucht, uns zu helfen.«

Zwölf
    Laurens Worte brachten meine Gedanken völlig ins Schleudern. Keiner mehr von den Verantwortlichen in Ottawa? Sogar die höchste Regierungsebene auf der Flucht?
    Dann waren wir also den ganzen Weg umsonst gekommen?
    Ich war so hungrig, dass mein Magen sich praktisch schon selbst annagte, und trotzdem musste ich mir den Haferbrei, den Hilary brachte, herunterquälen. Gleich nach dem Essen lief ich zur Quarantänehütte, um Gav und Tobias zu erzählen, was ich erfahren hatte. Gav nickte, als ich Laurens Bericht wiederholte, als wäre er kein bisschen überrascht. Was er vielleicht auch nicht war. Von Anfang an hatte er zu mir gesagt, wir könnten nicht darauf vertrauen, dass sich die Menschen, die an der Macht sind, um uns kümmern, sondern dass sie sich immer zuerst um sich selbst kümmern würden.
    »Komm her«, sagte er, als ich fertig war, und streckte die Hand aus, während Tobias verlegen wegsah. Ich sank auf seinen Schoß und ließ ihn die Arme um mich legen. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich blinzelte sie weg, so gut ich konnte. Schließlich war ich diejenige, die uns hierhergebracht hatte. Ich durfte jetzt nicht schlappmachen.
    »Es tut mir so leid, Kae«, sagte Gav und drückte mich ganz fest. »Wenigstens haben wir es jetzt erfahren, bevor wir noch weiter gegangen

Weitere Kostenlose Bücher