Und wenn wir fliehen (German Edition)
Wasser, die wir zum Kühlen auf das Fensterbrett gestellt hatten.
Gav saß im Schneidersitz auf dem Bett, als ich hereinkam. Er kippte die halbe Flasche herunter, die ich ihm reichte, legte den Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Sein Fieber war inzwischen so hoch, dass er seine Jacke ausgezogen hatte, obwohl die Wände nur wenig Wärme aus dem Wohnzimmer durchließen. Nach dem Mittagessen hatte er auch seinen Pullover abgestreift und ihn sich um die Schultern gelegt. Er wirkte schmaler als sonst, und ich hatte nicht das Gefühl, dass das nur daran lag, dass er eine Schicht Kleidung abgelegt hatte.
Stoßweise atmend richtete er sich auf und putzte sich die Nase mit dem Lappen, den er als Taschentuch benutzte. Auf der anderen Seite der Tür hörte man Anikas Stimme.
»Ihr habt jemanden mitgebracht?«, fragte Gav.
Ich tauschte die äußeren meiner Kleider gegen die Krankenzimmer-Ersatzklamotten, die ich auf der Kommode liegen gelassen hatte, und kletterte zu ihm aufs Bett. Wie von selbst glitt sein Arm um mich.
»Ein Mädchen ist uns bis zur Wohnung gefolgt«, antwortete ich und versuchte, leise zu sprechen. »Sagt, sie will sich uns anschließen. Meinst du, wir sollten sie zuerst noch weiter ausquetschen?«
Gav rang sich ein Lächeln ab. »Vielleicht sollten wir sie einfach beim Wort nehmen. Scheint sowieso ’ne ganz schöne Fluktuation zu herrschen in diesem Wir-retten-die-Welt-Business.«
Er meinte vermutlich Tessa und Meredith. Das musste er, denn wir sprachen schließlich noch nicht über die Tatsache, dass er, falls ich nicht rechtzeitig Hilfe fand, irgendwann in den nächsten Tagen nicht mehr er selbst sein würde. Trotzdem schnürte es mir einen Augenblick lang die Kehle zu, und ich brachte kein Wort heraus.
Ich umarmte ihn fest, und er drückte mich noch fester, bevor ihm einen Moment später die Arme wegsackten. Der Husten und das Fieber zehrten an seinen Kräften.
»Glaubst du wirklich, sie ist in Ordnung?«, fragte er dann ernster.
»Sie könnte etwas wissen, das uns hilft«, antwortete ich.
»Na, dann solltest du besser da rausgehen, bevor sie mit ihrer Geschichte fertig ist«, sagte er, »damit du mir später alles erzählen kannst. Ich will ja nicht total außen vor sein.«
»Natürlich«, erwiderte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich erstatte dir beim Abendessen ausführlich Bericht.«
Ich spürte, wie sein Blick mir folgte, als ich hinausging. Sein Verlangen, daran teilzuhaben, was passierte, lag wie eine Last auf meinem Rücken.
Anika hatte sich auf dem Sofa niedergelassen. Justin und Tobias saßen jeweils auf einer Seite daneben; Justin, als würde er sie bewachen, Tobias, als befürchtete er, wenn er den Blick abwendete, würde sie sich sofort in Luft auflösen. Ihre Hände zuckten beim Sprechen durch die Luft.
»Und als Mom dann ins Krankenhaus kam, ließen sie keine Besucher mehr rein. Das war, als da noch Leute arbeiteten, die uns daran hindern konnten, versteht ihr? Und im College haben sie alle Kurse ausfallen lassen, und die meisten meiner Freunde sind krank geworden oder haben die Stadt verlassen. Aber ich wollte Mom nicht einfach so aufgeben, auch wenn ich sie nicht besuchen durfte.«
Ich nahm mir einen Stuhl aus der Essecke und setzte mich neben die großen, nutzlosen Lautsprecher, die im Wohnzimmer standen. Anikas Blick wanderte kurz zu mir und dann wieder zurück zum Rest ihrer Zuhörerschaft.
»Muss ganz schön hart für dich gewesen sein«, sagte Tobias. Und sein Gesicht nahm eine rosarote Farbe an, als sie ihn anlächelte.
»Das stimmt«, antwortete sie. »Als Nächstes hab ich gehört, dass die Leute die Krankenhäuser kurz und klein geschlagen haben und dass die Ärzte durchgedreht und verschwunden sind, und ich hab nie erfahren, was überhaupt mit meiner Mom passiert ist. Sie war im Mount Sinai, aber als ich da nach ihr gesucht habe, konnte ich sie nicht finden. Also musste ich irgendwie allein zurechtkommen.«
»Du siehst aus, als würdest du das ganz gut hinkriegen«, bemerkte Leo.
»Es hätte schlimmer kommen können, denke ich«, erwiderte Anika. »Ich hab so einen ähnlichen Platz wie ihr gefunden, für den sich sonst anscheinend keiner interessiert. Und Dad war ganz schön paranoid. Er hatte diesen Campingkocher und einen Haufen Benzin angeschleppt, bevor die Panik richtig losging, also konnte ich mir auch etwas kochen. Ich bin, na ja, nicht gerade am Verhungern. Aber die Leute hier in der Gegend sind völlig durchgedreht, die meisten
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