Undank Ist Der Väter Lohn.
er sie: Er sorgte dafür, daß ihr der Stoff nicht ausging, und hütete ihr Geheimnis; sie verhalf ihm zu gesellschaftlichem Aufstieg und verschaffte ihm die Achtung, die ein Mann dem anderen zollt, wenn dieser im Besitz einer schönen Frau ist. Und darum wollte Tricia so gerne glauben. Und Martin hatte die Erfahrung gemacht, daß Leute, die unbedingt glauben wollten, sich selbst in ihrer Verzweiflung so ziemlich alles einredeten. In diesem Fall jedoch war das, was Tricia so gern glauben wollte, gar nicht mal so weit von der Wahrheit entfernt. Er schlief tatsächlich mit ihr, wenn sie im Drogenrausch war. Sie wußte nur nicht, daß er das sogar bevorzugte.
»Oh«, sagte sie mit kleinlauter Stimme und blinzelte verwirrt.
»Ja, oh«, sagte er. »Den ganzen Juni, Juli und August. Und gestern nacht auch.«
Sie schluckte. »Gestern nacht?«
Er lächelte. Sie gehörte ihm.
Er ging zu ihr. »Wir werden uns doch nicht von den Bullen zerstören lassen, was wir haben, Trish. Sie sind hinter einem Killer her. Nicht hinter uns.« Er berührte ihre Lippen mit den prügelmüden Fingerknöcheln seiner rechten Hand. Die linke auf ihrem Gesäß, zog er sie näher. »Na, hab ich nicht recht? Stimmt es nicht, daß die Polizei hier nicht finden wird, was sie sucht?«
»Ich muß runter von den Drogen«, flüsterte sie.
Er drückte ihr einen Finger auf den Mund und zog sie an sich, um sie zu küssen. »Immer eins nach dem anderen«, sagte er.
In seinem Zimmer im Black-Angel-Hotel tauschte Lynley Anzug und Krawatte gegen Jeans, Wanderstiefel und die alte gewachste Jacke, die er meist in Cornwall trug, ein altes Erbstück seines lange verstorbenen Vaters. Immer wieder sah er zum Telefon, als er sich ankleidete, als könnte er es mit bloßer Willenskraft dazu zwingen, zu läuten, und zugleich stand er in ständigem Widerstreit mit sich selbst, ob er nun von sich aus anrufen sollte oder nicht.
Helen hatte sich nicht gemeldet. Ihr Schweigen am Morgen hatte er damit entschuldigt, daß sie nach dem langen Abend mit Deborah St. James wahrscheinlich ausschlafen wollte. Aber als das Schweigen auch den Nachmittag über anhielt, fiel es ihm immer schwerer, Entschuldigungen zu finden. Er hatte sogar am Empfang nachgefragt und gebeten, noch einmal zu überprüfen, ob nicht doch eine Nachricht für ihn hinterlassen worden sei, aber auch eine gründliche Durchsuchung von Schlüsselfächern und Papierkörben hatte nichts Neues erbracht. Seine Frau hatte nicht angerufen. Und sonst auch niemand. Aber Schweigen vom Rest der Welt kümmerte ihn nicht. Helens Schweigen hingegen sehr.
Wie man es zu tun pflegt, wenn man sich im Recht glaubt, ging er in Gedanken immer wieder ihr Gespräch vom vergangenen Morgen durch. Er klopfte es auf Untertöne und Nuancen ab, aber ganz gleich, wie gewissenhaft er prüfte, immer war er der ungerecht Behandelte. Die Sache lag ganz einfach. Helen hatte sich in seine beruflichen Belange eingemischt, und sie schuldete ihm eine Entschuldigung. Es stand ihr ebensowenig zu, seine dienstlichen Entscheidungen zu kritisieren, wie er das Recht hatte, ihr vorzuschreiben, wie und wann sie St. James in seinem Labor zu helfen hatte. Im persönlichen Bereich hatten sie beide ein begründetes Recht darauf, die Hoffnungen, Entscheidungen und Wünsche des anderen zu erfahren. In dem Bereich, der ihre unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten betraf, schuldeten sie einander freundliche Anteilnahme, Rücksicht und Unterstützung. Daß seine Frau – wie ihr unbestreitbar trotziges Schweigen klar erkennen ließ – nicht bereit war, sich an diese elementaren und vernünftigen Grundsätze des Zusammenlebens zu halten, fand er desillusionierend. Er kannte Helen seit nunmehr sechzehn Jahren. Oder vielmehr, er hatte geglaubt, sie zu kennen, und kannte sie doch offensichtlich überhaupt nicht.
Er sah auf seine Uhr. Er schaute zum Fenster hinaus und prüfte den Stand der Sonne. Es würde noch mehrere Stunden hell bleiben, er brauchte also nicht Hals über Kopf aufzubrechen. Er hätte gut noch telefonieren können, aber statt dessen trödelte er herum, vergewisserte sich, daß er Kompaß, Taschenlampe und eine Wanderkarte eingesteckt hatte.
Erst als es beim besten Willen nichts mehr gab, womit er sich hätte ablenken können, gab er sich seufzend geschlagen. Er ging zum Telefon und tippte seine Privatnummer ein. Ich kann ihr ja eine Nachricht hinterlassen, wenn sie ausgegangen ist, dachte er.
Er erwartete Denton. Oder den Anrufbeantworter.
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